Befangenheit des Richters Müller am Bundesverfassungsgericht im Verfahren zur aktiven Sterbehilfe

Aktuelles

20.09.2018

Vor dem zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts sind derzeit Verfassungsbeschwerden gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Beförderung der Selbsttötung (§ 217 StGB; aktive Sterbehilfe) anhängig. Diese Verfahren werden wegen der Besorgnis der Befangenheit ohne Mitwirkung des Bundesverfassungsrichters Müller entschieden. Dies gab das Bundesverfassungsgericht mit Beschlüssen vom 13.02.2018 sowie vom 26.06.2018 bekannt (Az.: 2 BvR 651/16; Pressemitteilung Nr. 11/2018 vom 13. März 2018 sowie Az.: 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1494/16, 2 BvR 1624/16, 2 BvR 1807/16, 2 BvR 2347/15, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 2527/16, 2 BvR 2506/16).

Erläuterung

Da ein großer Teil der höchsten deutschen Richter in ihrem Vorleben als Politiker oder Hochschullehrer bereits zu verfassungsrechtlich bedeutsamen Fragen öffentlich eine klare Stellung bezogen haben, stellt sich am Bundesverfassungsgericht häufiger als an anderen obersten Gerichten die Frage der möglichen Befangenheit von Richtern.

Geregelt ist die Ablehnung bzw. der Ausschluss von Richtern am Bundesverfassungsgericht wegen Befangenheit in den §§ 18,19 BVerfGG. Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Nicht entscheidend ist, ob ein Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist. Maßstab für eine derartige Besorgnis der Befangenheit ist allein, ob Verfahrensbeteiligte bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass haben könnten, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.

Eine solche Konstellation lag hier nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts vor. Bundesverfassungsrichter Müller hat sich in seiner vor der Wahl zum Richter des Bundesverfassungsgerichts ausgeübten Funktion als Ministerpräsident ganz klar inhaltlich zu dem nunmehr anhängigen Verfahren positioniert und auch einen Gesetzesentwurf in den Bundesrat eingebracht, der in weiten Teilen mit der verfahrensgegenständlichen Gesetzesfassung übereinstimmt.

Sachverhalt (Ausgangsverfahren: 2 BvR 651/16)

So bekannte sich Richter Müller in einer 2001 in einer Kirche gehaltenen Rede damals in seiner Funktion als Ministerpräsident des Saarlands zum Grundsatz der Nichtverfügbarkeit des Lebens und lehnte aktive Sterbehilfe ab. Im Jahr 2006 kritisierte Richter Müller als damaliger Ministerpräsident in einer mit Kirchenvertretern gemeinsam veröffentlichten Presseerklärung die aktive Sterbehilfe vehement. Im selben Jahr übermittelte der damaliger Ministerpräsident Müller einen Gesetzesentwurf zum Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung. Dieser Gesetzesentwurf fand zwar damals im Bundesrat keine Mehrheit. Der aktuelle und verfahrensgegenständliche § 217 StGB beruht jedoch weitgehend auf dem damals von Ministerpräsident Müller vorgelegten Entwurf und nimmt auch in dessen Begründung mehrfach auf diesen Bezug (BT-Drucks 18/5373).

Wesentliche Erwägungen des Senats

Der Senat stellt zunächst die große Bedeutung der Mitwirkung von Richtern, die vormals politische Ämter bekleidet oder politische Funktionen ausgeübt haben für die Verfassungsrechtsprechung heraus. Allein die Tatsache, dass ein Richter zuvor Aufgaben politischer Gestaltung erfüllt hat und in diesem Zusammenhang auch am Wettstreit unterschiedlicher politischer Auffassungen teilgenommen hat, reiche für sich genommen nicht aus um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Zweifel an der Objektivität eines Richters des Bundesverfassungsgericht können allerdings berechtigt sein, wenn sein Verhalten den Schluss zulässt, dass er einer seiner eigenen wiedersprechenden Rechtsauffassung nicht mehr frei und unvoreingenommen gegenüber steht, sondern „festgelegt“ ist. Die bloße Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren genüge dafür ausweislich des Wortlauts des § 18 BVerfGG allerdings nicht. Vielmehr bedarf es zusätzlicher Umstände, die eine besonders enge Beziehung des Richters zu dem der Prüfung anstehenden Gesetzes geschaffen hat.

Solche Umstände lagen hier nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts vor. Richter Müller hat sich in seiner vor der Wahl zum Richter des Bundesverfassungsgerichts ausgeübten Funktion als Ministerpräsident ganz eindeutig und klar positioniert. Er hat den politischen Anstoß für das Gesetzgebungsverfahren gegeben, sich persönlich in der Öffentlichkeit für ein sehr umstrittenes Gesetz besonders engagiert und sich auch ausdrücklich gegen den Sterbehilfeverein gewandt. Damit ist Richter Müller nach Ansicht des Senats trotz des erheblichen Zeitablaufs zu dem früheren Verfahren zu stark persönlich in die Thematik eingebunden. Er darf an dem Verfahren zum Verbot der geschäftsmäßigen Beförderung der Selbsttötung nicht mehr mitwirken. Nach den gesetzlichen Vorgaben wird durch Los ein Richter des ersten Senats als Vertreter bestimmt.

Folgeentscheidungen

Auf die im Verfahren 2 BvR 651/13 für begründet erklärte Ablehnung hin hat sich Richter Müller mit Schreiben vom 22. März 2018 in den Verfahren, in denen ebenfalls über die Vereinbarkeit des § 217 StGB mit dem Grundgesetz zu entschieden ist und in denen er von den Verfahrensbeteiligten nicht abgelehnt worden ist, gem. § 19 Abs. 3 BVerfGG selbst für befangen erklärt. Für eine abweichende Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit sei kein Raum. Dem ist der Senat gefolgt. Die Selbstablehnung des Richters Müller wegen Besorgnis der Befangenheit hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Beschlüssen vom 26.06.2018 für begründet erklärt.

Wesentliche Erwägungen des Senats

Es gelten die gleichen Maßstäbe wie im Falle seiner Ablehnung durch Verfahrensbeteiligte. Entscheidend sei demnach, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass habe, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Dies sei hier in Bezug auf die Person des Richters Müller der Fall. Die besonderen Umstände, die im Verfahren 2 BvR 651/16 die Besorgnis der Befangenheit des Richters Müller begründet haben, lagen in dessen früherem, von persönlicher Überzeugung getragenen politischen Engagement für ein strafbewehrtes Verbot organisierter Suizidhilfe. Dieses begründe nicht nur verfahrensspezifisch, sondern allgemein die Besorgnis, Richter Müller werde die zu entscheidenden, in hohem Maße wertungsabhängigen und von Vorverständnissen geprägten Rechtsfragen, die sich in allen zu § 217 StGB geführten Verfahren gleichermaßen stellen, möglicherweise nicht mehr in jeder Hinsicht offen und unbefangen beurteilen können. Die Besorgnis der Befangenheit sei damit nicht individuell mit der Person des Beschwerdeführers im Verfahren 2 BvR 651/16 verbunden, sondern auf die besondere Thematik zurückzuführen, wie sie allen anderen gegen § 217 StGB gerichteten Verfassungsbeschwerden ebenso zugrunde liege. Dies erfordere eine einheitliche Beurteilung der möglichen Befangenheit des Richters.

Ausblick

Das Bundesverfassungsgericht hat erst kürzlich, nachdem einige Verfassungsrichter durch außergerichtliche Tätigkeiten in Kritik geraten waren, einen Verhaltenskodex für höchste deutsche Richter veröffentlicht. In seinem Regelwerk bekennt sich das Bundesverfassungsverfassungsgericht zur Beachtung einer besonderen Gerichtsethik und insbesondere zur Neutralität der Amtsführung als oberstem Gebot. Die eben besprochenen Entscheidungen reihen sich in diese Entwicklung ein.