Angekündigter Brexit darf nicht zur Vertagung oder Verweigerung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls führen

Aktuelles

02.10.2018

Mit Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19.09.2018 (C-327/18) wird klargestellt, dass die Mitteilung des Vereinigten Königreichs über seine Absicht, aus der EU auszutreten, nicht zur Folge hat, dass die Vollstreckung eines von ihm ausgestellten Europäischen Haftbefehls verweigert oder vertagt werden darf.

Erläuterung:

In Zeiten immer häufigerer transnational strafrechtlich relevanter Sachverhalte erlangen auch Fragen rund um die Vollstreckbarkeit des Europäischen Haftbefehls immer zentralere Bedeutung. Eine recht beachtliche Einschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten für im Vereinigten Königreich verfolgte oder gar inhaftierte Beschuldigte hat jetzt aktuell der Europäische Gerichtshof vorgenommen. Er hat festgestellt, dass die Mitteilung des Vereinigten Königreichs über seine Absicht, aus der EU auszutreten, nicht zur Folge hat, dass die Vollstreckung eines von ihm ausgestellten Europäischen Haftbefehls verweigert oder vertagt werden darf. Mit der Thematik hatte sich der Europäische Gerichtshof aufgrund einer Anfrage des High Court of Ireland zu befassen, nachdem der in Irland verhaftete Beschuldigte gegen seine Übergabe an das Vereinigte Königreich mit dessen Austritt aus der EU gewehrt hatte.

Der Gerichtshof weist in seiner Entscheidung zunächst darauf hin, dass angesichts des fundamentalen Prinzips des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, das dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl zu Grunde liegt, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls den Grundsatz darstellt, während die Ablehnung der Vollstreckung als Ausnahme ausgestaltet und eng auszulegen ist. Nach seiner Ansicht bewirkt die Mitteilung eines Mitgliedstaats über seine Absicht, gemäß Art. 50 EUV aus der Union auszutreten, nicht die Aussetzung der Anwendung des Unionsrechts, so dass die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses und die diesem immanenten Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung in diesem Staat bis zu seinem tatsächlichen Austritt aus der Union vollumfänglich in Kraft bleiben. Die Mitteilung sei kein „außergewöhnlicher“ Umstand, der es rechtfertigen könnte, die Vollstreckung eines von diesem Mitgliedstaat ausgestellten Europäischen Haftbefehls zu verweigern. Diese Folge würde eine einseitige Aussetzung der Bestimmungen des Rahmenbeschlusses darstellen und verstieße zudem gegen dessen Wortlaut, wonach es Sache des Europäischen Rates ist, eine Verletzung der in Art. 2 EUV enthaltenen Grundsätze im Ausstellungsmitgliedstaat im Hinblick auf die Aussetzung des Europäischen Haftbefehls festzustellen.

Allerdings stellt der Europäische Gerichtshof ebenso fest, dass die vollstreckende Justizbehörde noch zu prüfen hat, ob es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die Person, gegen die dieser Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Austritt des Ausstellungsmitgliedstaats aus der Union der Gefahr ausgesetzt ist, dass ihr die Grundrechte und die Rechte, die ihr im Wesentlichen aus dem Rahmenbeschlusses erwachsen, nicht mehr zustehen. Hierzu hebt der Europäische Gerichtshof jedoch hervor, dass das Vereinigte Königreich Vertragspartei der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist und dass seine weitere Beteiligung an dieser Konvention nicht an seine Zugehörigkeit zur Union gebunden ist. Darüber hinaus sei das Vereinigte Königreich auch Vertragspartei des Europäischen Auslieferungsabkommens vom 13. Dezember 1957 und habe weitere Rechte und Pflichten, die derzeit im Rahmenbeschluss enthalten sind, in sein nationales Recht aufgenommen. Daher gelangen die Richter zu der Auffassung, dass der Mitgliedstaat, der den Europäischen Haftbefehl ausgestellt habe, nach seinem Austritt aus der Union auf die zu übergebende Person im Wesentlichen den Inhalt der für die Zeit nach der Übergabe geltenden Rechte aus dem Rahmenbeschluss anwenden werde. Lägen keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vor, dass die Person, gegen die dieser Haftbefehl ergangen ist, nach dem Austritt des Aus­stellungs­mitglied­staats aus der Union der Gefahr ausgesetzt sei, dass ihr die von der Charta und dem Rahmenbeschluss zuerkannten Rechte genommen werden, ist der Haftbefehl nach der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs zu vollstrecken, solange das Vereinigte Königreich der Union angehört.

Ausblick:

Der Europäische Gerichtshof hat der möglichen Strategie, sich gegen eine Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls im Vereinigten Königreich mit dessen beabsichtigtem Austritt zur Wehr zu setzen, eine klare Absage erteilt. Als Vertragspartei der Europäischen Konventionen zum Schutz der Menschenrechte ändere der Brexit an dieser rechtsstaatlichen Grundhaltung nichts. Die Entscheidung reiht sich in die vollstreckungsfreundliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein und soll dazu dienen, „territoriale Vollstreckungsschutzräume“ innerhalb der EU zu vermeiden.