Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte stärkt Verteidigungsrecht und die Meinungsfreiheit des Strafverteidigers

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09.07.2019

EGMR (IV. Sektion), Urteil vom 16.01.2018 – 40975/08 (CEFERIN/Slowenien)

In einem Urteil vom 16.01.2018 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Land Slowenien verurteilt an den Verteidiger 800,00 Euro als Ersatz für Vermögensschaden, 2.400,00 Euro als Ersatz für Nichtvermögensschaden und 3.000,00 Euro als Ersatz für Kosten und Auslagen zu zahlen.

Vorangegangen war ein Streit des Verteidigers durch alle Instanzen, nachdem er wegen Äußerungen im Gerichtssaal gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen Ordnungsgelder wegen Beleidigung und Missachtung des Gerichts auferlegt erhalten hatte. Sämtliche Instanzen in Slowenien hatten die Ausgangsentscheidung des Landgerichts Ljubljana vom 19.03.2004 (d. h. 14 Jahre vorher!) bestätigt. Grund für das Ordnungsgeld war ein Verteidigungsmandat, welches der anwaltliche Kollege führte. Gegen seinen Mandanten war der Vorwurf des Mordes erhoben und er stritt für den Mandanten gegen die Vorwürfe der Anklage. Die gerichtlich bestellten Sachverständigen griff er an und wies mit kraftvollen Ausdrücken auf deren –nach seiner Sicht gegebenen – Unprofessionalität, Unzulänglichkeit und Unfähigkeit hin. Auch der Staatsanwaltschaft warf er vor, bestimmte Ermittlungshandlungen unterschlagen zu haben (z. B. polizeiliche Ergebnisse nach einem Lügendetektortest). Dies alles duldeten die slowenischen Behörden nicht und verhängten gegen den Verteidiger entsprechende Ordnungsgelder. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wies nun klar daraufhin, dass der Rechtsanwalt als Verteidiger für einen Angeklagten handelte. Seine Äußerungen bezogen sich auf jenes Verfahren und standen mit seiner Beschwerde im Zusammenhang, dass ihm die Ergebnisse einer Befragung durch die Polizei mithilfe eines Lügendetektors nicht mitgeteilt wurden, und seinem Antrag, einen weiteren Sachverständigen zu bestellen, sowie seinen Versuchen, die Glaubwürdigkeit der Sachverständigengutachten zu erschüttern, die er für schwer mangelhaft hielt. Er machte dabei seine Äußerungen nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht vor einem Forum (d. h. vor einem Gericht), vor dem die Rechte seines Mandanten naturgemäß kraftvoll verteidigt werden mussten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wies auch darauf hin, dass er die Richter noch nicht einmal in der Öffentlichkeit sondern nur im Gerichtssaal kritisierte.

Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist es in erster Linie die Aufgabe des Verteidigers, unter der Kontrolle des Gerichts Erheblichkeit und Nützlichkeit von Verteidigungsargumenten zu prüfen. Es gilt die Freiheit der Meinungsäußerung nicht nur für Informationen oder Ideen, die zustimmend aufgenommen oder als unschädlich oder unwesentlich angesehen werden, sondern auch für solche, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Der Gerichtshof hat auch bereits entschieden, dass ein scharfer Ton in Kommentaren über einen Richter mit Artikel 10 EMRK nicht unvereinbar ist. Wenn eine Äußerung ein Werturteil ist, kann die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs davon abhängen, ob es für sie eine ausreichende Tatsachengrundlage gibt. Dann ist es wichtig für den Betroffenen, dass er eine realistische Möglichkeit erhält, zu beweisen, dass das der Fall ist. Zwar bedauert der Europäische Gerichtshof auch die Besonnenheit des anwaltlichen Vertreters bei seinen Ausdrücken. Der Gerichtshof weist aber auch daraufhin, dass es Aufgabe des Gerichts gewesen wäre, den anwaltlichen Vertreter dann bereits im Saal anzusprechen, zurückzuweisen oder aber zu bitten, seine Behauptungen weitergehend zu untermauern. Die angegriffene Entscheidung gegen den Verteidiger war ergangen, ohne dass er  jemals dazu gehört worden war. Der Europäische Gerichtshof betont, dass es die Aufgabe des Vorsitzenden Richters ist, das Verfahren so zu leiten, dass ein angemessenes Verhalten der Parteien und insbesondere die Fairness des Verfahrens gewährleistet werden.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs lässt nur erahnen, mit wieviel Kraft und Aufwand der Verteidiger hier für sein Recht kämpfen musste. In sämtlichen Instanzen in Slowenien war er erfolglos. Daher lässt sich auch nur vermuten, mit wie vielen Niederlagen er bei seinem Kampf um Meinungsfreiheit und ein faires Verfahren sowie Verteidigungsrechte erleben sollte.

Angesichts einer solchen Entscheidung dürften auch die neuesten Bestrebungen der Deutschen Bundesregierung, das Strafverfahren zu beschleunigen und die Verteidigungsrechte einzuschränken, hinterfragt werden. Gerade die Änderungen im Beweisantragsrecht und die Einschränkungen der Verteidigung in diesem Bereich auf Basis von Erkenntnissen in Ausnahmefällen dürften zu einem nicht mehr reparablen Schaden für den Rechtsstaat und das faire Verfahren führen.