Der erstmals im August 2019 vorgestellte Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ wurde nun unter dem neuen Namen „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ als Referentenentwurf vom Bundesjustizministerium veröffentlicht.
Die Neubegründung eines sog. Unternehmensstrafrechts stand in der Vergangenheit mehrfach im Kernbereich der Diskussion. Trotz aller Vorbehalte und Kritik ist der Gesetzesentwurf unter dem jetzt neuen Namen in die letzte Phase getreten und es ist zu erwarten, dass er im Sommer dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt wird.
Was der Anlass für die Umbenennung des Gesetzes war, ist dem Entwurf nicht zu entnehmen. Vieles spricht allerdings dafür, dass die Politik einmal wieder der Versuchung erlegen ist, mit Titeln Symbolgesetzgebung betreiben zu wollen.
Inhaltlich soll mit dem Verbandssanktionengesetz (VerSanG) die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, auf eine eigenständige, dem Legalitätsprinzip unterworfene, Gesetzesgrundlage gestellt und zugleich auch bei großen Verbänden eine angemessene Ahndung von Straftaten ermöglicht werden (so die Begründung im Referentenentwurf).
Das Gesetz soll sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam bekämpft wird und auch die von Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen wirksam zur Verantwortung gezogen werden. Gleichzeitig sollen Compliance-Maßnahmen und interne Untersuchungen von Unternehmen gefördert werden.
Die Neuregelung soll u.a. deshalb erforderlich sein, weil der aktuelle Strafrahmen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) nicht ausreichend sei, Unternehmenskriminalität angemessen zu sanktionieren. Die im OWiG festgesetzte Höchstgrenze der Verbandsgeldbuße von 10 Millionen Euro gälte unabhängig von der Unternehmensgröße und lasse insbesondere gegenüber finanzkräftigen multinationalen Konzernen keine empfindliche Sanktion von Verbandstaten zu und benachteilige damit kleinere und mittelständische Unternehmen. Bei Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro sieht der Gesetzesentwurf daher eine Verbandsgeldsanktion von bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes vor. Dem Vorschlag der Anwaltschaft, die kleinen/mittelständischen Unternehmen aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes zu nehmen, wurde nicht gefolgt.
Die Verfolgung von Verbandstaten soll dem Legalitätsprinzip unterworfen werden mit dem Ziel, die Ahndung von Unternehmen nicht mehr in das Ermessen der zuständigen Behörden zu stellen und damit ein zwingendes und einheitliches Vorgehen gegen Unternehmenskriminalität zu schaffen.
Die für Unternehmen wohl wichtigste Änderung im Vergleich zu dem vorhergehenden Entwurf ist, dass die in § 14 des VerSanG-E (alt) vorgesehene „Todesstrafe für Unternehmen“ – die Verbandsauflösung – entfallen ist. Damit sieht der aktuelle Entwurf „nur noch“ zwei Sanktionsmöglichkeiten vor, nämlich die Verbandsgeldsanktion und die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (§ 8 VerSanG-E).
Zu begrüßen ist die Reduzierung des Ermessens des Gerichts bei der Vornahme der sog. Sanktionsmilderung gem. § 17 VerSanG-E. Sah noch der erste Entwurf vor, dass das Gericht die Sanktion mildern „kann“, ist im aktuellen Entwurf geregelt, dass das Gericht eine Sanktionsmilderung vornehmen „soll“, wenn die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 VerSanG-E kumulativ vorliegen.
An die Sanktionsmilderung sind jedoch strenge Voraussetzungen geknüpft. So muss das Unternehmen u.a. dazu wesentlich beigetragen haben, dass die Straftat aufgeklärt werden konnte (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E). Schon die erste Tatbestandsvoraussetzung beinhaltet damit einen unbestimmten Rechtsbegriff und stellt die Beteiligten vor die Frage, was ein wesentlicher Aufklärungsbeitrag ist.
Stellt das Gericht fest, dass die Milderungsvoraussetzungen vorliegen, so reduziert sich das Höchstmaß der Geldsanktion um 50 % und das vorgesehene Mindestmaß entfällt. Zudem entfällt die Eintragung der Verbandstat in das Verbandssanktionsregister (ähnlich dem Gewerbezentralregister).
§ 17 VerSanG-E bietet damit auf den ersten Blick einen nicht unerheblichen Anreiz für Unternehmen, entsprechende interne Untersuchungen durchzuführen und mit den Behörden zu kooperieren. Auf den zweiten Blick ist dies jedoch ein zweischneidiges Schwert: Denn die Verweigerung einer Kooperation und das Unterlassen interner Untersuchungsmaßnahmen könnte dazu führen, dass sich die Geschäftsführung mit Blick auf eine mögliche Reduzierung der Geldsanktion und/oder Abwendung eines finanziellen Schadens für das Unternehmen einem Untreuevorwurf ausgesetzt sehen könnte. Aus einer scheinbar freiwilligen Kooperation könnte damit eine für die Geschäftsführung nicht zu unterschätzende Verpflichtung werden.
Auch viele weitere Einzelheiten sind bislang trotz des neuen Entwurfs ungeklärt und es bleibt abzuwarten, wie die Praxis damit umgehen wird
Zwar ist das Gesetzesvorhaben ein völliges Novum im Strafrecht und wird die Verteidigung vor neue Herausforderungen stellen. Viele Vorschriften wurden allerdings aus der Strafprozessordnung und dem Ordnungswidrigkeitengesetz übernommen, sodass sie für die Verteidigung keine Unbekannte darstellen. Eine Besonderheit ist dabei, dass der „Verband“ eine Beschuldigtenstellung im Strafverfahren einnehmen soll, wie der Verweis in § 27 VerSanG-E auf Vorschriften der Strafprozessordnung über den Beschuldigten zeigt.
Damit gerät die sorgfältige rechtliche Begleitung von Unternehmen noch stärker in das anwaltliche Blickfeld. Aufgrund des deutlich höheren Sanktionsrahmens und des zu erwartenden Anstiegs von Ermittlungsverfahren ist die Schaffung von wirksamen Compliance-Systemen sowie Regelungen zu internen Untersuchungen im Unternehmen wichtiger denn je.
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Strafrecht