Branchenwissen, Unternehmensverteidigung, interne Untersuchung und Mehrfachverteidigung auf dem berufsrechtlichen Prüfstand – Der Gesetzgeber legt deutlich nach und hat weitestgehende Tätigkeitsverbote im Sinn!

Aktuelles

26.11.2020

Nachdem die Bundesregierung am 21.10.2020 das neue Verbandssanktionengesetz in den Bundestag eingebracht hat (BT-Drs. 19/23568) legt das BMJV per 29.10.2020 nach. Das Berufsrecht soll mit dem

Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe

angepasst und die Regelung zu berufsrechtlichen Interessenkollisionen deutlich verschärft werden. Was vorher recht allgemein geregelt war in § 43a Abs. 4 BRAO, soll nun konkretisiert und erweitert werden.

Nicht mehr nur der klassische „Interessenwiderstreit“ soll ein Tätigkeitsverbot mit berufsrechtlicher Sanktion nach sich ziehen können, sondern auch bloßes vertrauliches Spezial-/Sachwissen des Beraters aus anderen, früheren Mandaten.

Die beabsichtigte neue Regelung des § 43a Abs. 4 S. 1 BRAO-E soll lauten:

Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er

1. eine andere Partei in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat oder

2. in Ausübung seines Berufs von einer anderen Partei eine für die Rechtssache bedeutsame vertrauliche Information erhalten hat.

Das Tätigkeitsverbot nach Satz 1 gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf in einer Berufsausübungsgesellschaft mit einem Rechtsanwalt ausüben, der nach Satz 1 ausgeschlossen ist. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 2 bleibt bestehen, wenn der Rechtsanwalt, der nach Satz 1 ausgeschlossen ist, die Berufsausübungsgesellschaft verlässt. Die Sätze 2 und 3 finden keine Anwendung, wenn die betroffenen Mandanten der Tätigkeit des Rechtsanwalts nach umfassender Information zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicher-stellen. Soweit es für die Prüfung eines Tätigkeitsverbots nach Satz 2 erforderlich ist, dürfen der Verschwiegenheitspflicht unterliegende Tatsachen einem Rechtsanwalt auch ohne Einwilligung des Mandanten offenbart werden. Die Sätze 1 bis 5 gelten entsprechend für ein Tätigwerden des Rechtsanwalts außerhalb des Anwaltsberufs, wenn für ein anwaltliches Tätigwerden ein Tätigkeitsverbot nach Satz 1 bestehen würde.“

  • Ziff. 1 lehnt sich dabei auf den ersten Blick an die bisherige Regelung an, wobei die jetzige Formulierung schon deswegen überarbeitungsbedürftig sein dürfte, da auch schon eine erstmalige Vertretung bei widerstreitenden Interessen stets berufsrechtswidrig war und ist. Neu in Nr. 1 ist aber die Umfassung der bloßen „Beratung“, die bislang so ausdrücklich nicht vom Verbot umfasst war.
  • Die deutlichere Verschärfung ist aber in Ziff. 2 zu sehen. Ist das bloße Sachwissen aus anderen Mandaten und vorherigen Beratungen (z.B. Erkenntnisse des Anwalts aus Zeugeneinvernehmungen, Mitarbeiterbefragungen, Unternehmensdokumenten, branchenspezifischen anderen Verfahren zB im Kartellrecht) bislang kein vorrangiger Anknüpfungspunkt für die Frage gewesen, ob eine berufsrechtlich unzulässige Vertretung vorliegt, soll das nach den Vorstellungen des BMJV gerade in Zukunft anders sein. Ziff. 2 dürfte deswegen eine enorme Auswirkung auf solche anwaltlichen Berater haben, die aufgrund ihrer Branchenerfahrung und ihrem enormen Sachwissen aus anderen Mandaten vielleicht bewusst von Mandanten ausgewählt werden. Eine zeitliche Einschränkung, wann der Rechtsanwalt „sensibles Wissen“ wieder vergessen haben darf und deswegen ggf. einen neuen Mandanten wieder beraten dürfen soll, für den dieses Wissen des Anwalts vorteilhaft sein könnte, ist dabei ebenso wenig vorgesehen wie eine Einschränkung dieser enorm weitreichenden Tätigkeitsverbotsklausel.
  • Satz 3 erstreckt die Regelung auch auf die sog. Berufsausübungsgemeinschaft und Satz 5 schließt auch zB Syndikusanwälte ein, was faktisch zu einem Vertretungsverbot führen kann.

Fazit:

Kanzleien, die zB im Rahmen von internen Untersuchungen Wissen generieren, werden zukünftig früher in einen berufsrechtlichen Konflikt kommen als bislang.

Verteidiger, die bislang in größeren komplexen Fällen nach genauer Betrachtung verschiedene Mandate betreuen konnten, werden möglicherweise kollidieren.

Zeugenbeistände von mehreren Zeugen in einem Verfahren werden frühzeitig kollidieren.

Ist eine anwaltliche Beratung erfolgt, so soll keine Tätigkeit im widerstreitenden Interesse durch andere Gesellschafterinnen oder Gesellschafter der Berufsausübungsgesellschaft erfolgen (vergleiche hierzu § 59d Absatz 3 BRAO-E).

Fast vergessen:

  • Gleichzeitig möchte das BMJV im Übrigen die mögliche Geldsanktion für berufsrechtliche Verstöße gegen Anwälte von 25.000,00 € auf 50.000,00 € und damit auf das Niveau der Steuerberater anheben, bei welchen freilich die Interessenkollision scheinbar selten verfolgt wird (z.B. bei der gegenläufigen steuerlichen Beratung von Gesellschaft und Privatperson).
  • Hauptsächlich regelt der Referentenentwurf vom 29.10.2020 die gesamte berufsrechtliche Betrachtung von Berufsausübungsgemeinschaften bei Rechtsanwälten, Steuerberatungs- und WP-gesellschaften ebenso neu wie Teile des berufsrechtlichen/berufsgerichtlichen Verfahrens (zB Zulassung der Öffentlichkeit!) neu. Dazu folgt ein gesonderter Beitrag.

Es bleibt spannend und es wird interessant sein, ob diese grundlegende Gesetzesänderung mit ihren weitereichenden Folgen in der Anwaltschaft überhaupt rechtzeitig wahrgenommen wird oder, ob man dem Gesetzgebungsverfahren hinterherlaufen wird. Zuletzt musste man fast den Eindruck gewinnen, dass gerade im Bereich des Verbandssanktionengesetzes die Stellungnahmen der Verbände und der betroffenen Berufsgruppen an den festgelegten Bestrebungen des BMJV kaum mehr etwas auszurichten vermochten.