Das lange als „Kavaliersdelikt“ bezeichnete Delikt der Steuerhinterziehung wandelt sich zur Schwerstkriminalität

Aktuelles

25.02.2021

Eine Folge von verschiedenen Gesetzesinitiativen und gesetzgeberischen Umsetzungen verändert sich die Rechtswirklichkeit im Steuerstrafrechts.

Nicht nur einzelfallbezogen wegen der sog. Cum-Ex-Verfahren, sondern auch unter dem Deckmantel Pandemie-relevanter Gesetzgebungsänderungen verschärft der Gesetzgeber die Vorgaben zur Verfolgung der Steuerhinterziehung, wo er nur kann.

Nicht nur die absolute Verjährung für die mögliche Verfolgung von Steuerhinterziehungen wird ausgedehnt bis in die Nähe schwerster Straftaten (z.B. Totschlag). Auch die Möglichkeit des Gesetzgebers, in die Vergangenheit hinein Vorteile bei Tätern, Angehörigen, Erben u.s.w. abzugreifen, wurde ausgedehnt. Flankiert wird diese Tendenz durch das neue Verbandssanktionengesetz, welches vor der Tür steht.

Ein kurzer Überblick zu den relevanten Punkten, die nun gelten und bald gelten werden:

  1. Verjährung

Wir kannten bislang Folgendes einfache Prinzip:

  • Die strafrechtliche Verjährung beginnt, sobald die Tat beendet ist (§  78a StGB).
  • Beendet ist die Tat erst, wenn der Taterfolg eingetreten ist und das Tatunrecht seinen tatsächlichen Abschluss erreicht hat.
  • Die Verfolgungsverjährungsfrist bei den als Vergehen festgesetzten Steuerstraftaten beträgt 5 Jahre, § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB.
  • Bei besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung betrug die Verfolgungsverjährung 10 Jahre (§ 376 AO) und die absolute Verfolgungsverjährung damit 20 Jahre (§ 78c Abs. 3 StGB).

So weit, so gut.

  • Mit dem zweitem Corona Steuerhilfegesetz (in Kraft getreten am 1.7.2020) wurde § 376 Abs. 3 AO umgeschrieben. Dieser heißt seither:

„Abweichend von § 78c Absatz 3 Satz 2 des Strafgesetzbuches verjährt in den in §  370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 bis 6 genannten Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung die Verfolgung spätestens, wenn seit dem in § 78a des Strafgesetzbuches bezeichneten Zeitpunkt das Zweieinhalbfache der gesetzlichen Verjährungsfrist verstrichen ist.“

  • Damit verschob sich das Ende der absoluten Verjährung von 20 Jahre auf 25 Jahre (2,5-fach von 10 Jahren).
  • Mit dem zweitem Corona Steuerhilfegesetz (in Kraft getreten am 1.7.2020) wurde § 376 AO zudem auch in Absatz 1 um einen Halbsatz erweitert. Dieser lautet:

§ 78b Absatz 4 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.

  • Damit ruht das Verfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens für maximal weitere fünf Jahre. Das Ende von 25 Jahren verschob sich also bereits auf 30 Jahre!
  • Durch das Jahressteuergesetz 2020 (in Kraft getreten am 29.12.2020) ist danach die Verjährungsregel des § 376 AO entscheidend erweitert worden:

Hiernach beträgt die Verfolgungsverjährung bei den nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 bis 5 (Nr. 6 wurde später ergänzt) genannten besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung 15 Jahre.

  • Die Regelung ist auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht verjährten Taten anzuwenden.
  • Die 15-jährige Verfolgungsverjährungsfrist gilt auch, wenn sich im Urteil später herausstellen sollte, dass kein besonders schwerer Fall vorliegt. Entscheidend ist, ob der Tatvorwurf zu Beginn des Ermittlungsverfahrens die Voraussetzungen der Regelbeispiele erfüllt (vgl. BGH, Beschluss vom 05.03.2013 – 1 StR 73/13; BGH, Beschluss vom 13.06.2013 – 1 StR 226/13).

Konsequenz und Ergebnis:

  • In Fällen der besonders schweren Steuerhinterziehung ist die Frist der absoluten Strafverfolgung auf 37,5 Jahre verlängert worden.
    • Bei besonders schwerer Steuerhinterziehung beträgt die Verjährungsfrist gemäß §  376 Abs. 1 AO nunmehr 15 Jahre,
      • das Zweieinhalbfache davon sind 37,5 Jahre.
    • Unter Berücksichtigung des §  78b Abs. 4 StGB ist eine Verlängerung sogar auf 42,5 Jahre möglich:
      • Gilt gem. § 376 Abs.1 Halbsatz 2 AO entsprechend
      • Ruhen des Verfahrens ab Eröffnung der Hauptverhandlung für 5 Jahre
  • Einziehung von Vorteilen in der Vergangenheit

Auch im Bereich der Einziehung nutzte der Gesetzgeber die Pandemie für eine versteckte Gesetzesverschärfung nach einem wohl missliebigen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24.09.2019, um nach nicht einmal sechs Monaten zu bemerken, dass die geschaffene Regelung handwerkliche Mängel in sich trug und diese dann im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2020 mit Wirkung zum 29.12.2020 zu überarbeiten; zu Lasten der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens.

  • Mit Urteil vom 24. Oktober 2019, 1 StR 173/19 erklärte der Bundesgerichtshof die strafrechtliche Einziehung von steuerlich verjährten Ansprüchen für unzulässig. So hatte es der Gesetzgeber Mitte 2017 im neuen Einziehungsrecht nach breiten Diskussionen neu geregelt.
  • Mit dem zweites Corona-Steuerhilfegesetz änderte der Gesetzgeber die AO zum 1.7.2020, indem er § 375a  AO schuf. Er regelte:

„Das Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verjährung nach § 47 steht einer Einziehung rechtswidrig erlangter Taterträge nach den §§ 73 bis 73c des Strafgesetzbuches nicht entgegen.“

Danach war eine Einziehung auch bei verjährten Ansprüchen im Steuerrecht möglich.

  • Diese Norm hob er jedoch wieder auf durch das JStG 2020 mit Wirkung vom 29.12.20. Dafür erweiterte er § 73e StGB in Absatz 1 um einen 2. Satz. Dieser lautete danach insgesamt:

(1) Die Einziehung nach den §§ 73 bis 73c ist ausgeschlossen, soweit der Anspruch, der dem Verletzten aus der Tat auf Rückgewähr des Erlangten oder auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen ist, erloschen ist. 2 Dies gilt nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind. Dies gilt nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind.

Konsequenz und Ergebnis:

Hiernach soll eine Einziehung in allen Rechtsgebieten trotz Verjährung möglich sein.

  • Vorsorge und Schutzsysteme in Unternehmen für die Zukunft als Mindestvoraussetzung für einen rechtmäßigen Geschäftsbetrieb

Das neue Verbandssanktionengesetz (siehe Blogbeitrag vom …..) steht vor der Tür und beschert Unternehmen erhebliche Risiken. Vom Kleinstbetrieb bis zum großen Konzern können Unternehmen selbst danach bestraft werden insbesondere dann, wenn sog. Tax-Compliance-Systeme nicht eingerichtet wurden oder lediglich nicht funktionieren. Von der Güte der sog. Tax-Compliance-Systeme wird auch die Frage abhängen, ob Ermäßigungen bei drakonischen Strafen denkbar sind oder nicht. In einem komplizierten Tatbestands- und Rechtsfolgensystem hat der Gesetzgeber Regelungen im Blick, welche die Unternehmerlandschaft voll treffen werden.

§ 2 Verbandssanktionengesetz ermöglicht bereits die Ahndung objektiver Verstöße; unabhängig von subjektiven Vorwürfen (Fahrlässigkeit oder Vorsatz) auf der Leitungsebene bzw. auf Ebene der natürlichen Personen. Das bereits ist ein Curiosum und eine erhebliche Ausdehnung von Sanktionsmöglichkeiten. Bislang war eine Aufsichtspflichtverletzung nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz nur möglich, wenn den verantwortlichen Personen wenigstens Fahrlässigkeit vorgeworfen werden konnte.

Auf Rechtsfolgenseite wird die Güte der Tax-Compliance-Systeme ausschlaggebend dafür sein, ob ein Unternehmen beispielsweise eine Geldbuße ganz erlassen bekommt oder jedenfalls zu 50 %. Sieht man den Rahmen der Geldbußen (bis 10 Mio. € bzw. bis 100 Mio. €), lässt sich leicht errechnen, wie wertvoll 50 % sein können. Welches Unternehmen fängt da nicht an, betriebswirtschaftlich zu rechnen, was sich lohnt oder was sich nicht lohnt.

Das Jahr 2021 wird in der Steuergesetzgebung ebenso wie das Jahr 2020 ein maßgebliches Jahr werden. Mal sehen, wo wir im Juni/Juli 2021 stehen, wenn die Legislaturperiode langsam ausläuft und die „Sommerpause“ bevorsteht, in der die Parlamentarier erfahrungsgemäß nicht handeln und lieber in den Urlaub fahren; wenn es denn geht.