Untreuerisiko bei Zahlung überhöhter Betriebsratsvergütungen – Das Begünstigungsverbot als Compliance-Falle

Aktuelles

22.05.2023

Der 6. Strafsenat des BGH hat mit seinem Urteil vom 10.01.2023 – 6 StR 133/22 strenge Vorgaben für die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern statuiert und klargestellt, dass der objektive Tatbestand der Untreue gemäß § 266 I StGB erfüllt sein kann, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG einem Mitglied des Betriebsrats ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt.

Dieses Urteil hat über den Einzelfall hinaus weitreichende Folgen für die allgemeine Vergütungspraxis von Betriebsratsmitgliedern und stellt strenge Maßstäbe auf, anhand derer sich Konzerne künftig werden ausrichten müssen, um mögliche Strafbarkeitsrisiken zu vermeiden.

I. Zugrundeliegender Sachverhalt

 Gegenstand des erstinstanzlichen Urteils (Landgericht Braunschweig – Urteil vom 28.09.2021, Az. (16 KLs 406 Js 59398/16 (85/19)) war die Gewährung von Arbeitsentgelten an freigestellte Betriebsräte in den Jahren 2011 bis 2016, die die Zahlungen an die betriebsverfassungsrechtlich zutreffenden Vergleichsgruppen erheblich überstiegen. Nach Ansicht des Landgerichts hatten die Angeklagten durch die Umstufung der Betriebsräte in deutlich höhere, dem „Managementkreis“ vorbehaltene Entgeltgruppen und die Gewährung freiwilliger Bonuszahlungen von jährlich 80.000 Euro bis 560.000 Euro je Betriebsrat zwar den objektiven Tatbestand einer Untreue erfüllt. Ihnen fehle aber der erforderliche Vorsatz, weil sie sich auf die Einschätzungen interner und externer Berater verlassen hatten.

Das Landgericht Braunschweig hat die Angeklagten, zwei frühere Vorstände für den Bereich Personal und zwei frühere Personalleiter der Volkswagen AG, demnach vom Vorwurf der Untreue freigesprochen.

II. Rechtlicher Hintergrund des BetrVG

Grundlage der korrekten Vergütungsbemessung eines Betriebsratsmitglieds ist

  • 37 Abs. 4 BetrVG und § 78 Satz 2 BetrVG.
  • 37 Abs. 4 BetrVG konkretisiert insoweit den in § 78 Satz 2 BetrVG enthaltenen allgemeinen Grundsatz, dass Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden dürfen.

Der ehrenamtliche Charakter und die Unentgeltlichkeit der Amtsführung sollen die innere Unabhängigkeit gewährleisten und damit zugleich sicherstellen, dass das Betriebsratsmitglied nicht aus der Gruppe herausgelöst wird, der es angehört. Denn einzig unter diesen Voraussetzungen, kann die (unabhängige) Repräsentation der Belegschaft durch den Betriebsrat sachgerecht erfolgen.

III. Maßgebliche Erwägungen des 6. Strafsenats des BGH

Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2023 auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 28. September 2021 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  1. Der BGH stellt fest, dass eine Betriebsratsvereinbarung, die gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG verstößt, eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht darstellt. Die Betriebsratsvereinbarung führe zu einem verbotenen Vermögensabfluss und sei daher gemäß § 134 BGB nichtig. Dabei sei es unerheblich, ob der Verstoß gravierend sei oder nicht. Der verursachte Vermögensnachteil könne auch nicht dadurch kompensiert werden, dass die Zahlungen die vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle des Unternehmens gefördert hätten.
  1. Entscheidend sei die Erörterung, unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot gegeben ist.

Der BGH hält insoweit in Einklang mit der Entscheidung des Landgerichts Braunschweig fest, dass die Betriebsratstätigkeit nicht als Bemessungsgrundlage in die Vergütungserwägungen eingestellt werden darf.

Ausgangspunkt für diese Bewertung ist § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG, wonach das einem Betriebsratsmitglied zu zahlende Arbeitsentgelt nach der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung zu bemessen sei.

Demgemäß darf auch für leitende Betriebsräte als Vergütungsmaßstab nur dasjenige Niveau herangezogen werden, auf dem Beschäftigte mit vergleichbaren Aufgaben stünden – und zwar zu Beginn der jeweiligen Tätigkeit.

Vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit des Betriebsratsamtes sei insofern ein strenger Maßstab anzulegen. Dieser verbiete es, auf die hypothetische Gehaltsentwicklung bei einer Sonderkarriere abzustellen.

Vergleichbar sei daher ausschließlich, wer im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt hat und dafür in gleicher Weise wie das Betriebsratsmitglied fachlich und persönlich qualifiziert war (sog. Vergleichsperson nach § 37 IV BetrVG).

Der BGH hält weiter fest, dass ein Aufstieg insbesondere nur dann betriebsüblich sei, wenn die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen erreicht hat.

Die Zahlung einer höheren Vergütung als die auf Basis der Vergleichsgruppe, ist demnach nur dann zulässig, wenn das Betriebsratsmitglied ausschließlich in Folge der Amtsübernahme nicht in die entsprechend vergütete Position aufgestiegen ist.

Darüber hinausgehende Vergütungserhöhungen seien unzulässig.

IV. Ausblick für die Praxis

Das Urteil gibt Anlass zur kritischen Überprüfung der bisherigen Vergütungspraxis von Konzernen mit mindestens einem vollständig freigestellten Betriebsratsmitglied im Hinblick auf die vorangestellten Rahmenbedingungen.

Die Vermögensbetreuungspflicht eines Vorstands oder Geschäftsführers gebietet es insoweit, gemessen an dem strengen Vergleichsmaßstab, bestehende überhöhte Vergütungen von Betriebsratsmitgliedern anzupassen und vor allem bereits ausgezahlte überhöhte Vergütungen zurückzufordern.

Die hypothetische Betrachtung gemäß § 78 S. 2 BetrVG, namentlich die Vergütung oberhalb der Vergleichsgruppe, dürfte zukünftig angesichts der anderenfalls drohenden Compliance-Risiken, die absolute Ausnahme bilden.

Das Urteil beinhaltet aber auch einen deutlichen strafrechtlichen Fingerzeig. Einmal mehr zeigt der BGH die strengen Vorrausetzungen für die begründete Annahme des Wegfalls des subjektiven Tatbestands auf. Dies wird weiterhin in der Beratungspraxis zu beachten sein.