Auf den Anspruch, dass ein Strafverfahren zügig durchgeführt wird, kann man nicht verzichten – auch dann nicht, wenn eine steuerliche Frage vorgreiflich erscheint!

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20.06.2024

Im Verfahren 1 StR 116/23 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Anträge der Angeklagten, das Strafverfahren wegen vorgreiflicher steuerrechtlicher Fragen gemäß § 396 Abs. 1 AO auszusetzen, bis das Besteuerungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, abgelehnt (Beschluss vom 10. August 2023 – 1 StR 116/23).

Dazu führt der 1. Strafsenat in seinem Beschluss aus:

„Nach § 396 Abs. 1 AO kann das Strafverfahren ausgesetzt werden, bis das Besteuerungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, wenn die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung davon abhängt, ob ein Steueranspruch besteht, ob Steuern verkürzt oder ob nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind. Die Entscheidung steht im Ermessen des Gerichts. Abzuwägen sind alle Umstände, die im konkreten Fall für und gegen die Aussetzung des Strafverfahrens sprechen, namentlich das Ziel, im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtssicherheit divergierende Entscheidungen im Straf- und Besteuerungsverfahren möglichst zu vermeiden, und das Gebot zügiger Verfahrensdurchführung. Jedenfalls wenn eine längere Aussetzung erforderlich wäre, gebührt dem in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verankerten Anspruch des Angeklagten auf Entscheidung in angemessener Frist regelmäßig der Vorrang vor dem Interesse an einer einheitlichen Rechtsanwendung; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK setzt der Zulässigkeit einer Verfahrensaussetzung enge Grenzen (vgl. Jäger in Joecks/Jäger/Randt, SteuerstrafR, 9. Aufl., § 396 AO Rn. 6). Einen Anspruch auf Aussetzung hat der Angeklagte nicht (vgl. BGH, Urteil vom 28.1.87 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272, 274).

Bei Anwendung dieser Grundsätze und in Abwägung und Ausübung des Ermessens sind die Aussetzungsanträge der Angeklagten abzulehnen, weil eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 396 Abs. 1 AO nicht angezeigt ist. Zu den wesentlichen steuerlichen Fragen, die für das Vorliegen einer Verkürzung von Körperschaft- und Gewerbesteuer bedeutsam sind, wenn eine ausländische Kapitalgesellschaft den Ort ihrer Geschäftsleitung im Inland hat, hat der Senat bereits eine Grundsatzentscheidung (Beschluss vom 13.3.19 – 1 StR 520/18) getroffen. Es tritt hinzu, dass – wie es sich auch aus dem angefochtenen Urteil ergibt – im Wesentlichen Tatfragen entscheidungserheblich sind, nicht schwierige steuerrechtliche Vorfragen. Auch die von den Angeklagten geäußerte – abstrakte – Befürchtung, dass es vor dem Hintergrund verschiedener Möglichkeiten der steuerlichen Würdigung zu divergierenden straf- und finanzgerichtlichen Entscheidungen kommen könne, drängt nicht zur Aussetzung des anhängigen Strafverfahrens. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die Tatsache, dass seit Vollendung der Taten bereits sieben Jahre und seit der Anklageerhebung mehr als vier Jahre vergangen sind. Dass die Angeklagten die Aussetzung selbst beantragt und möglicherweise an einer Fortsetzung des Strafverfahrens kein Interesse haben, lässt ihren Anspruch auf zügige Durchführung des Strafverfahrens unberührt (vgl. Klein/Jäger, AO, 16. Aufl., § 396 Rn. 10).“

Praxishinweis:
Auf den eigenen Anspruch auf eine zügige Durchführung des Strafverfahrens kann der Angeklagte nicht verzichten. Dies wird bei Aussetzungsanträgen stets zu bedenken sein.