Die Sitzordnung im Strafverfahren

Aktuelles

12.12.2019

Es gibt in Strafverfahren bekanntlich (fast) nichts, über das mit den Verfahrensbeteiligten nicht gestritten werden könnte. Dabei gehen die Streitigkeiten nicht erst mit dem Aufruf der Sache gemäß §243 Abs. 1 StPO los, sondern bereits vorher schon bei Fragen der richtigen Ausstattung des Sitzungssaals und der dort umgesetzten organisatorischen Maßnahmen. Hierbei mag es sicher so sein, dass einige gelegentlich aufgeworfene Fragestellungen kaum von entscheidender Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens sein können. Dies betrifft etwa die Fälle, in denen darüber diskutiert wurde, ob ein christliches Kreuz zurecht den Gerichtssaal schmücken darf, ob es wirklich sinnvoll und angemessen ist, dass der Vertreter der Staatsanwaltschaft auf einer höheren Position als andere Verfahrensbeteiligte noch an der Seite der Richterbank seinen richtigen Platz findet oder ob der Verteidigung verwehrt werden darf, für den Betrieb ihres Laptops das Stromkabel in eine im Gerichtssaal befindliche Steckdose zu stecken.

All diese Fragestellungen mögen Ärgerlichkeiten des Alltags widerspiegeln, über die besonnene Verteidiger zwar zuweilen den Kopf schütteln können, aber sie werden nur in äußerst seltenen Sonderfällen entscheidungserheblich sein.

Von deutlich größerer Bedeutung ist hingegen ein anderes Problem, was sich in steter Regelmäßigkeit immer wieder in Hauptverhandlungen ergibt. Dies ist die Sitzordnung. Bereits das Oberlandesgericht Köln hatte schon vor Jahren anlässlich eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens festgestellt, dass ein Betroffener einen solchen Platz im Sitzungssaal zugewiesen erhalten muss, der seiner Würde und seinem Anspruch auf Gleichbehandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten entspricht. Der Betroffene müsse darüber hinaus auch die Möglichkeit haben, von seinem Platz aus der Verhandlung folgen und seine Verteidigung sachgerecht führen zu können. Ansonsten könne die Verteidigung in unzulässiger Weise beschränkt sein (OLG Köln, NJW 1980, Seite 302).

Zur ordnungsgemäßen Führung der Verteidigung gehört aber nun zweifellos nicht nur, dass es dem Beschuldigten (oder Betroffenen) eines Verfahrens möglich sein muss, die Kommunikation mit seinem Verteidiger zu führen und seine mitgebrachten Unterlagen vor sich auf einen Tisch legen zu können, sondern – viel wichtiger noch – die sinnvolle Mitwirkung an der Beweisaufnahme.

Gerade mit dieser Fragestellung hatte sich jüngst der Bundesgerichtshof auseinanderzusetzen (BGH, Beschluss vom 01.08.2018 – 5 StR 228/18). Dabei ging es um die Fragestellung, ob ein Angeklagter bei einer Zeugenvernehmung beanspruchen kann, so zu sitzen, dass er das Gesicht einer Zeugin ununterbrochen sehen kann. Der BGH hat dabei in seiner Entscheidung (mit der er die Revision letztlich verwarf) noch einmal das unbedingte Gebot betont, dass auch dem Angeklagten die kontradiktorische Prüfung aus Art. 6 Abs. 3 dBuchstabe D EMRK ermöglicht werden müsse. Allerdings hat er dem Gericht einen weitreichenden, revisionsrechtlich nicht überprüfbaren Ermessensbereich zugesprochen, entsprechend der baulichen Vorgaben des Gerichtssaals, der Anzahl der Verfahrensbeteiligten oder auch etwa von Sicherheitsbedenken eine Sitzanordnung zu bestimmen, die dem Angeklagten keine Frontalsicht auf einen Zeugen ermöglicht. Im konkreten Fall wurde es deshalb für ausreichend erachtet, dass für den Angeklagten lediglich eine seitliche Ansicht auf den Zeugen möglich war.

Von besonderer Bedeutung bei der Entscheidung ist allerdings wenigstens, dass der BGH ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass bei vorheriger Beanstandung der Sitzanordnung oder Offensichtlichkeit der Behinderung der Sicht das Gericht sein Urteil auf eine besondere Beobachtung der Mimik und Gestik eines Zeugen nur dann stützen darf, wenn es zuvor den übrigen Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung davon Mitteilung gemacht und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

Wenigstens insofern kann die Entscheidung des BGH deshalb für die Verteidigung künftig fruchtbar gemacht werden.

Vielleicht mag es aber auch zukünftig einen anderen Ausweg aus dem Dilemma geben. Denn die Diskussion über den Einsatz der Videotechnik in Strafverfahren hat derzeit Konjunktur. So hat der Bundesgerichtshof bei der Frage des Entfernens des Angeklagten während einer Zeugenvernehmung die Möglichkeit der audiovisuellen Unterrichtung des Angeklagten ausdrücklich hervorgehoben (BGH NStZ 2018, 156). Wenn aber schon der entfernte Angeklagte (zurecht) die Möglichkeit haben soll, einer Zeugenvernehmung per Bildschirm zu folgen, so ist nicht einzusehen, warum dies erst recht nicht für den anwesenden Angeklagten gehen sollte. Es muss dann eben nur zeitgleich die Zeugenaufnahme per Video aufgenommen werden und simultan auf Bildschirmen im Sitzungssaal zu sehen sein. Technisch wäre dies ebenfalls heutzutage für vergleichsweise kleines Geld realisierbar.

gez.
Thilo Pfordte