Was ist der Sinn der Strafe?
„Da stellen wir uns mal janz dumm …“ würde der berühmte Lehrer Bömmel in der Feuerzangenbowle sagen, bevor er dazu anhübe, einen großen runden schwarzen Raum mit zwei Löchern zu erklären.
So weit entfernt wäre dies vom Strafrecht nicht. Denn auch hier gibt es zur Eingangsfrage zwei Herangehensweisen. Die eine beschäftigt sich akademisch mit dem präventiven oder repressiven Sinn der Strafe, wobei kriminologisch zunehmend die Idee der Abschreckung weniger favorisiert wird, soweit sie sich auf die Abschreckung durch strafrechtliche Sanktion und nicht auf Abschreckung durch erhöhtes Entdeckungsrisiko bezieht.
Die andere Seite hingegen schien bislang durchaus prominent jedenfalls der vormalige Gesetzgeber zu repräsentieren, indem die Abschreckung durch härtere Strafen als wichtigstes Argument zur Begründung von Gesetzesnovellierungen bemüht wurde (mir fehlt bislang allerdings immer noch die Evaluierung dazu, inwieweit etwa die Neuregelung des § 113 StGB bei den Hooligans der sog. Borussenfront tatsächlich bekannt ist und, soweit dies überhaupt geht, zu einem Umdenken bei ihren Verhaltensweisen geführt hat).
Ein weiterer öffentlich sichtbarer Anhänger der „Abschreckungstheorie durch höhere Strafen“ ist der Bayerische Justizminister Georg Eisenreich, der Ende letzten Jahres mitgeteilt hat, dass Bayern eine Gesetzesinitiative starte, mit der wegen der steigenden Anzahl von Callcenter-Betrugsfällen „oftmals aus der Türkei und Osteuropa nun mit aller Härte gegen diese Betrüger vorgegangen werde“ und deshalb der bislang bestehende Strafrahmen gemäß § 263 Abs. 5 StGB von 1 Jahr bis zu 10 Jahren auf eine Mindeststrafe von 2 Jahren erhöht werde (soweit ersichtlich, hat sich der Bayerische Justizminister bislang allerdings noch nicht dazu geäußert, in welche osteuropäischen Sprachen er plant, seine Initiative übersetzen zu lassen, damit sich auch die von dieser Idee ausgehende enorme Abschreckungswirkung richtig entfalten kann).
Sieht man den diesem Gesetzgebungsvorhaben zugrunde liegenden Gedanken, erstaunt ein Gesetz, welches noch Ende der letzten Legislaturperiode verabschiedet wurde. Es geht dabei um besondere Anmutungen, die der Gesetzgeber nunmehr für Postdienstleister bereithält. Bemerkenswert ist bereits, dass die bislang in § 99 StPO alleinig geregelten Voraussetzungen der Postbeschlagnahme unter Hinzufügung eines in Abs. 2 geregelten Auskunftsverlangens Personen des Postdienstes von ihrer tatsächlichen Funktion als Unbeteiligte an einem Strafverfahren zu aktiv Verpflichteten des Ermittlungsverfahrens wandelt. Diese bemerkenswerte Metamorphose endet allerdings nicht im § 99 StPO, sondern findet ihren Fortgang im Postgesetz, einem Gesetzeswerk, welches man jedenfalls nicht ohne Weiteres mit strafverfahrensrechtlich relevanten Inhalten in Verbindung bringen würde.
Die veraltete Idee des nicht am Strafverfahren beteiligten Postbediensteten konnte jetzt aber durch den Gesetzgeber überwunden werden. Denn er hat § 39 des Postgesetzes um einen bemerkenswerten Absatz 4a ergänzt, der den Postbediensteten auf einen Schlag zum kenntnisreichen Hilfsermittler befördert. Nunmehr hat jeder, der geschäftsmäßig Postdienste erbringt oder daran mitwirkt (§ 39 Abs. 2 PostG) der „zuständigen Strafverfolgungsbehörde“ (die der Postbedienstete dazu kenntnisreich ermittelt) Postsendungen „unverzüglich zur Nachprüfung vorzulegen“ (was dies heißt, weiß der Postbedienstete) „wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ (die Voraussetzung des § 152 Abs. 2 StPO sind dem Postbediensteten geläufig) – für bestimmte strafbare Handlungen bestehen.
Dabei prüft der Postbedienstete in eigener Zuständigkeit, ob es sich um strafbare Handlungen aus neun unterschiedlichen Gesetzesbereichen, angefangen vom Betäubungsmittelgesetz, über das Neue–psychoaktive–Stoffe-Gesetz und etwa das Anti-Doping-Gesetz bis hin zum Waffen-Sprengstoff- und Kriegswaffenkontrollgesetz sowie dem Ausgangsstoffgesetz (alles sicherlich demnächst Gegenstand der Postausbildung) handelt.
Ist diese Neudefinition der Aufgaben eines Postbediensteten an sich schon bemerkenswert, so enthält das Gesetz aber noch eine interessante Pointe, die zum Ausgangspunkt dieses Beitrags zurückführt.
Gerade nach den oben angesprochenen tiefgreifenden Überzeugungen zu Sinn und Zweck von Sanktionierungen hätte man erwarten dürfen, dass mit der Einführung des § 39 Abs. 4a PostG auch eine Sanktionierung im Falle der Nichtbefolgung der definierten Handlungspflichten einhergeht. So war es im Gesetzgebungsverfahren dann tatsächlich auch ursprünglich vorgesehen. Der eigens im Postgesetz enthaltene § 49, der Bußgelder bei Nichtbefolgung des Postgesetzes androht, sollte auch Bußgelder im Falle der Nichtbefolgung des § 39 Abs. 4a PostG vorsehen. Dazu ist es aber nicht gekommen. Denn diese Absicht ist mit einer bemerkenswerten Begründung im Gesetzgebungsverfahren fallengelassen worden:
„Der Gesetzentwurf des Bundesrates sieht vor, dass ein Verstoß gegen die in § 39 Abs. 4a eingeführte Vorlagepflicht mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Eine Bußgeldbewehrung birgt allerdings die Gefahr, dass die Dienstleister in Zweifelsfällen mehr Sendungen vorlegen, um nicht Gefahr zu laufen, mit einem Bußgeld belegt zu werden. Um die Postdienstleister zu einer Vorlage nur in solchen Fällen zu veranlassen, in denen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, sollte auf eine Bußgeldandrohung verzichtet werden.“
Das ist nun aber im Ergebnis eine bemerkenswerte Pirouette und stellt eine völlig neue gesetzgeberische Einsicht dar, die allerdings leider vorerst nur Postdienstleister trifft. Sie lautet verkürzt:
„Eine Sanktionierung kann dazu führen, dass der Einzelne zu viel an Pflichterfüllung leisten könnte. Das wollen wir aber nicht. Deswegen lassen wir es mit der Sanktionierung lieber einmal bleiben …“
Das aber ist zumindest ein völlig neuer Ansatz bei der Frage des „Ob“ und „Wie“ einer Sanktion. Gibt es Mitwirkungs- oder gar, wie bei Unterlassungsdelikten Handlungspflichten, ist zu erwägen, deren Unterlassen nicht zu sanktionieren, weil sonst die Gefahr bestehen kann, dass viel zu viel gehandelt würde. Es wird interessant sein, zu erfahren, ob dieser Ansatz weiterverfolgt wird oder exklusiv für Postbedienstete gilt.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht