Generalstaatsanwälte kämpfen gegen verbesserte Dokumentation der Hauptverhandlung

Aktuelles

14.02.2023

1.

Auf der Zielgeraden zu einem neuen Gesetz zur Dokumentation der Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz, vgl. bereits Blogbeitrag vom 25.11.2022) haben nun die deutschen Generalstaatsanwälte mit einer Stellungnahme vom 26.01.2023 den Versuch unternommen, das Gesetzgebungsvorhaben noch zu verhindern. Bemerkenswert ist dabei an der Stellungnahme der Generalstaatsanwälte nicht nur die (leider erwartbare) inhaltliche Ablehnung des Gesetzgebungsvorhabens, sondern auch der Ton der Stellungnahme. Mit der Behauptung, dass der Referentenentwurf eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung keinen „sachgerechten Beitrag zur Digitalisierung der Justiz“ leiste, „von falschen Voraussetzungen“ ausgehe, „zur Unzeit vorgelegt“ werde, „an erheblichen, nicht nur empirischen, Mängeln“ kranke, „grundlegende verfassungs- und europarechtliche Fragestellungen unbeachtet“ lasse, „verfassungswidrig in Grundrechte“ eingreife und kein Problem löse, sondern neue schaffe, wird allerdings in der Stellungnahme weniger auf immer diskutable Einzelprobleme eingegangen, sondern ein Sprachduktus gewählt, der den Eindruck erweckt, als würde mit der Einführung des Gesetzes der Untergang des Abendlandes zu besorgen sein.

Ängste vor dem Untergang des Abendlandes sind im Zusammenhang mit einschneidenden Veränderungen häufig anzutreffen und es kommt unwillkürlich in den Sinn, von welch düsteren Weltuntergangsprophezeiungen am 07.12.1835 die Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnverbindung von Nürnberg nach Fürth begleitet war, als der „Adler“ die 6 km lange Strecke fahren sollte. Unter anderem wurde damals behauptet, dass nach der Vorbeifahrt des Zuges die Kühe dann keine Milch mehr geben würden. Fast 200 Jahre später ist der Zugverkehr aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken und manchmal findet er sogar nach Fahrplan statt.

2.

Es lohnt sich deshalb, einen genaueren Blick auf die sieben Kritikpunkte zu werfen, die die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme anspricht.

2.1.

Dabei wird zuerst einmal behauptet, dass ein Regelungsbedarf nicht ersichtlich sei. Die bisherige Art der Dokumentation der Hauptverhandlung habe sich „seit Jahrzehnten bewährt“, dass diese Dokumentation zu falschen Urteilen führe, liege weder auf der Hand noch sei sie empirisch belegt (I.).

Bereits diese Argumentation ist erstaunlich. Eigentlich müsste es doch das Ziel aller an einer Sitzung Teilnehmenden sein, besonders gut nachhalten zu können, was Inhalt der Sitzung war. Gerade Gerichte äußern in strafrechtlichen Hauptverhandlungen sehr häufig breites Unverständnis, wenn Beschuldigte zu wichtigen Vorgängen mitteilen, dass sie diese nicht dokumentiert hätten. Sogleich steht der Verdacht im Raum, dass es wohl etwas zu verbergen gäbe. Es ist schon bemerkenswert, dass die Transferleistung im Hinblick auf die gerichtliche Hauptverhandlung nicht gelingt. Dabei kann es doch keinen vernünftigen Zweifeln unterliegen, dass die bisherige Art und Weise der Dokumentation in der Hauptverhandlung den Inhalt der Hauptverhandlung gerade nicht dokumentiert. Es ist aber allgemein anerkannter Grundsatz, dass Transparenz Vertrauen schafft.

Dies zu negieren, sich vehement den verbesserten technischen Möglichkeiten einer Dokumentation entgegenzustemmen mit der Begründung, dass das, was andere Staaten in Europa machen, keinen Regelungsbedarf für Deutschland begründe, dabei aber gleichzeitig nicht zu erwähnen, dass die Dokumentation der mündlichen Verhandlung auch in Deutschland in allen Verfahren außerhalb des Strafrechts erheblich umfangreicher ist, ist schon verblüffend.

2.2.

Weiterhin wenden die Generalstaatsanwälte ein, dass eine digitale Aufzeichnung der Hauptverhandlung „einen Mehrwert im Sinne einer Arbeitshilfe … welcher Art auch immer nicht bringen“ werde (II.).

Zur Begründung wird hierzu ausgeführt, dass sich alle Verfahrensbeteiligten ohnehin Notizen machen müssten und es erscheine nicht „praxisnah, dass sich Verfahrensbeteiligte eine digitale Inhaltsdokumentation ohne Anlass anschauen oder anhören werden, bevor sie plädieren oder entscheiden“. Darüber hinaus würde die im Gesetzentwurf vorgesehene Transkription weder technisch hinreichend umsetzbar sein, noch löse sie das Problem von Meinungsverschiedenheiten über das Geschehene. Sie führe zu neuen Problemen (III.).

Eine Videoaufzeichnung der Hauptverhandlung werde abgelehnt (IV.), weil diese die Erkenntnismöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten nicht verbessere (IV., 1.), die Wahrheitsfindung erschwere oder verhindere (IV., 2.), gegen das Gebot des Opferschutzes (IV. 3.), gegen deutsche und europäische Datenschutzgrundsätze (IV. 4.) sowie gegen Grundrechte (IV. 5.) verstoße. Sie berge auch besondere Gefahren für die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten (IV. 6.).

Schließlich könne das Problem auch nicht dadurch gelöst werden, dass bloß akustische Aufzeichnungen durchgeführt würden (V.).

2.3.

Möglicherweise machen diese ablehnenden Begründungen der Generalstaatsanwälte die Stellungnahme zu einem historisch interessanten Papier, wenn am Ende dieses Jahrhunderts nach einer längst eingeführten technisierten Hauptverhandlung rechtshistorisch darauf geschaut wird, welche Argumente Anfang der 20er Jahre im Kampf gegen Fortschritt, verbesserten Erkenntnisgewinn, Rechtssicherheit und Fairness bemüht wurden.

Es würde den Umfang dieser Anmerkungen deutlich sprengen, auf alle Einzelheiten dieser Art von Argumentation einzugehen. Es wäre aber sicher spannend zu erfahren, ob ein Vertreter dieser Auffassung auch einem Verwaltungsrichter mitteilen würde, dass die in seiner Verhandlung vorgenommene Protokollierung völlig sinnlos sei, weil alle Personen ohnehin mitschreiben würden. Und was würde er erst einem Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft mitteilen, der ihm gegenüber erklärte, man habe nunmehr im Vorstand beschlossen, nur noch die wesentlichen Förmlichkeiten im Protokoll der Sitzungen festzuhalten und nicht mehr den Inhalt, weil ja alle Personen ohnehin sich etwas notieren müssten? Die Argumentation mit Hilfe des gerne verwendeten Opferschutzgedanken erstaunt darüber hinausgehend vor dem Hintergrund der §§ 58a, 255a StPO mitsamt der Schutzbestimmung des § 58a Abs. 3 StPO.

2.4.

Wenig überraschend wird als „heilige Kuh“ auch noch das Revisionsrecht bemüht (VI.).

Zuzugeben ist sicher der Argumentation in der Stellungnahme, dass eine verbesserte Dokumentation der Hauptverhandlung das Revisionsvorbringen prägen wird. Das Hauptverhandlungsdokumen-tationsgesetz sieht zwar eine Fruchtbarmachung der Dokumentation beim Revisionsvorbringen derzeit nicht vor, aber man wird redlicherweise die Augen nicht davor verschließen können, dass aufgrund der im Fluss befindlichen Rechtsprechung des BGH zu den Möglichkeiten und Grenzen des Rekonstruktionsverbotes (vgl. etwa BGHSt 41, 377; BGH 5 StR 139/19; aber auch BGH 4 StR 489/18) nicht gänzlich auszuschließen sein wird, dass zu einem späteren Zeitpunkt in besonderen Konstellationen dennoch Rückgriff auf eine Dokumentation der Hauptverhandlung genommen werden könnte.

Andererseits kann dies kein tragfähiges Argument gegen die Verbesserung einer Dokumentation sein. Zum einen ist grundsätzlich die Frage zu stellen, ob in der Form, wie aktuell in Fragen der Zulässigkeit und Begründetheit der Revision die Revision ein Eigenleben führt, die Revision tatsächlich noch den ihr zugedachten Sinn erfüllen kann und nicht einer grundlegenden Reform bedarf. Zum anderen mutet die Argumentation rechtsstaatlich befremdlich an, dass es wichtig sein könnte (ggf. fehlerhafte) Vorgänge, auch wenn es möglich wäre, nicht zu dokumentieren, damit man sie nicht beanstanden kann. Es fällt nicht ganz leicht, diese Einordnung von Prioritäten nachzuvollziehen.

2.5.

Schließlich behauptet die Stellungnahme noch, dass eine Einführung einer digitalen Dokumentation parallel zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen nicht zu realisieren sei. Zudem würde die Notwendigkeit verkannt, Nutzen und Zulässigkeit einer Dokumentation empirisch und verfassungsrechtlich zu klären (VII.).

Dies ist die Schlusspointe. In die Praxis übersetzt und überspitzt formuliert soll dies wohl bedeuten, weil die Justiz bis Ende der 20er Jahre mit der Einführung der elektronischen Akte befasst ist, sei es nicht möglich, in Hauptverhandlungen Videokameras zu installieren und die Aufnahmen zur Akte zu bringen, eine denkwürdige Argumentation. Ist sie tatsächlich ernstgemeint, muss einem angst und bange um die Leistungsfähigkeit der Justizverwaltung werden.

2.6.

Die Stellungnahme der Generalstaatsanwälte endet mit dem Satz: „Es gilt, Gefahren oder gar Schäden für das Strafverfahren und für Grundrechte der Beteiligten und damit Gefahren oder gar Schäden für den Rechtsstaat zu verhindern.“.

Dieser Äußerung ist uneingeschränkt zuzustimmen. Aber im Hinblick auf den Beschuldigten, der zentralen Person in der strafrechtlichen Hauptverhandlung, gilt jedenfalls, dass die Gefahr für Schäden im Hinblick auf seine Rechtsposition durch eine mangelhafte Dokumentation der Hauptverhandlung entstehen, keineswegs aber durch eine bessere. Es wäre begrüßenswert, wenn dies in den Blick genommen werden könnte.

Den Beschuldigten zur Wahrung seiner Grundrechte ohne Not schlechter zu stellen, könnte widersprüchlich, wenn nicht gar grundrechtswidrig sein.