EuGH: „Hätte-Wissen-Müssen“-Rechtsprechung findet auch bei Zollverfahren 42 Anwendung

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20.05.2019

In der Rechtssache „Vetsch“ hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 14.02.2019 (Az.: C-531/17, abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf;jsessionid=ECBE64FEADE18E10D73B3454A71EEE70?text=&docid=210769&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=3663272 ) eine bereits viel beachtete Entscheidung getroffen. Der EuGH hat hierin die Steuerbefreiung im Rahmen des Zollverfahrens 42 für die Einfuhrumsatzsteuer bejaht, obgleich es bei einem der Einfuhr nachfolgenden Umsätze zu einer Hinterziehung gekommen war.

Geklagt hatte die österreichische Spedition Vetsch Int. Transporte GmbH, die als sog. indirekte Vertreterin für zwei bulgarische Unternehmen die Einfuhrzollabwicklung unter Verwendung des Codes Zollverfahren 42 übernommen hatte. Dieser „VC42“ kommt bei der Einfuhrzollabwicklung zur Anwendung, wenn sich an die Einfuhr unmittelbar eine unionsinterne Weiterlieferung anschließt. Indirekte Stellvertretung liegt vor, wenn der Vertreter im eigenen Namen, aber für Rechnung eines anderen handelt.

Im entschiedenen Fall waren die Einfuhr nach Österreich und die Verbringung nach Bulgarien ordnungsgemäß verlaufen. Sodann wurde jedoch in Bulgarien der Weiterverkauf nicht ordnungsgemäß deklariert, vielmehr kam es im Folgenden dort zu einer Umsatzsteuerhinterziehung.

Der EuGH hat hierzu entschieden, dass die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung für den österreichischen Spediteur als indirekten Vertreter auch in einem solchen Fall erhalten bleiben kann. Selbst wenn der Empfänger der im Anschluss an die Einfuhr folgenden innergemeinschaftlichen Verbringung bei einem späteren Umsatz eine Steuerhinterziehung begeht, zieht dies nicht notwendigerweise die Versagung der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach sich. Das gelte jedenfalls dann, wenn dieser spätere Umsatz mit der Verbringung in keinem Zusammenhang stehe und wenn es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Importeuer wusste oder hätte wissen müssen, dass dieser spätere Umsatz in eine von dem Empfänger begangene Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war.

Die Entscheidung erinnert durch das „Hätte-Wissen-Müssen“ stark an das bekannte Italmoda-Urteil des EuGH vom 18.12.2014, (Az. C-131/13, C-163/13 und C-164/13, online abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?docid=160940&doclang=DE ). Dort hat der EuGH entschieden, dass die Mehrwertsteuerbefreiung zu versagen ist, sofern anhand objektiver Umstände nachgewiesen ist, dass dieser Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch den Umsatz, auf den er sich zur Begründung der Befreiung beruft, an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat.

Das Vetsch-Urteil kann auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, dass die im Italmoda-Urteil aufgestellten Grundsätze auch auf sämtliche Fälle der Einfuhrumsatzsteuer erweitert werden sollen. Das ist dem Urteil jedoch in keinster Weise zu entnehmen. Denn es fehlt jede Bezugnahme des EuGH zur Italmoda-Entscheidung. Er erwähnt nicht einmal die Erforderlichkeit des Nachweises objektiver Umstände, die nach gefestigter Rechtsprechung vorliegen müssen, um den Handelnden das sog. Hätte-Wissen-Müssen anzulasten.

Das Urteil des EuGH kann als Einzelfallentscheidung gesehen werden. In diesem Einzelfall waren aufgrund bestimmter Umstände Einfuhrumsatzsteuerfragen zu entscheiden. Eine Fortentwicklung der „Hätte-Wissen-Müssen“-Rechtsprechung ist darin nicht zwingend zu sehen. Es wird allerdings wohl nicht lange dauern, bis die Verwaltung anderes vertritt.

Es ist auch eine andere Interpretation möglich. Man kann das Urteil auch so verstehen, dass der EuGH von seiner bisher sehr strengen Linie Abstand nimmt, indem er zunächst fragt, ob der von der Steuerhinterziehung betroffene Umsatz mit der Verbringung überhaupt in Zusammenhang steht. Die Diskussion ist eröffnet.