Schnelle Gesetzesänderung = schnelle Hilfe?

Aktuelles

11.05.2020

Ein Blick des Strafverteidigers auf die „Covid-19-Gesetzeslockerungen“ im Insolvenz- und Strafprozessrecht

Der Gesetzgeber hat im Rahmen seines Corona-Krisen-Pakets das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie“ rasant verabschiedet; der Gesetzesentwurf ist am 25. März 2020 entsprechend der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses durch den Bundestag einstimmig angenommen worden. Der Bundesrat hat am 27. März zugestimmt. Das Gesetz ist noch am gleichen Tag im Bundesgesetzblatt verkündet worden und weitestgehend in Kraft getreten.

Mit seinem wohlwollend klingenden Namen suggeriert das Mantelgesetz schnelle, unkomplizierte Hilfe für diejenigen, die mit den Nöten und existentiellen Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen haben. Tatsächlich greifen die Gesetzesänderungen aber massiv in unser Rechtssystem ein, indem sie grundlegende Prinzipien zeitweise außer Kraft setzen oder modifizieren. Aus Sicht des Strafverteidigers bergen zunächst die Änderungen nach dem Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (im Folgenden: COVInsAG) ein Strafbarkeitsrisiko des Geschäftsführers in sich; mit der Modifizierung des § 229 Abs. 1 und 2 StPO ist die Einschränkung des Rechts auf effektive Verteidigung verbunden, um die Rettung langwieriger Strafprozesse ermöglichen zu können. Dies alles soll, so das „Deckmäntelchen“ des Gesetzgebers, durch das Ziel gerechtfertigt sein, die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und gesetzlichen Folgen der Corona-Pandemie weitestgehend zu minimieren.

  1. Änderungen im Insolvenzrecht

Die Änderungen im Insolvenzrecht haben ausweislich der Gesetzesbegründung das Ziel, die  Fortführung von Unternehmen, die infolge der COVID-19-Pandemie insolvent geworden oder in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, zu ermöglichen und zu erleichtern. Dies soll im Wesentlichen durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB zunächst bis zum 30. September 2020 gewährleistet sein (Artikel 1 § 1 COVInsAG). Die Aussetzung ist an die Voraussetzung geknüpft, dass die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung des Unternehmens Folge der Pandemie ist. Die Erfüllung dieser Voraussetzung wird durch zwei Beweislastregeln erheblich erleichtert:

So wird zunächst bei Insolvenzpflichtigen, die am 31.12.2019 zahlungsfähig waren, vermutet, dass der Insolvenzfall Folge der Corona-Pandemie ist. Des Weiteren liegt die Beweispflicht hierzu nicht beim Unternehmen, sondern bei demjenigen, den die Pflicht zur Insolvenzantragstellung trifft, also beim Geschäftsführer/Geschäftsleiter.

In dieser gesetzlich verankerten Vermutung liegt bereits die erste strafrechtliche Gefahr begründet. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die Angabe, die Insolvenzreife beruhe auf den Folgen der Corona-Pandemie, allzu leichtfertig vom Insolvenzantragspflichtigen angenommen wird. Eine falsche Einschätzung der Ursachen, die zur Insolvenz geführt haben, eröffnet aber den Anwendungsbereich der Strafbewehrung nach § 15a Abs. 4 StGB, wenn hierdurch die rechtzeitige oder richtige Antragstellung unterbleibt. In diesem Zusammenhang wird erfahrungsgemäß häufig übersehen, dass der Straftatbestand gemäß § 15a Abs. 5 InsO auch durch fahrlässiges Handeln erfüllt werden kann. Die vorschnelle Annahme, das Corona-Virus habe das wirtschaftliche Notleiden des Unternehmens verursacht, kann daher bereits ein Strafbarkeitsrisiko in sich tragen.

Durch die Auferlegung der Beweispflicht der „Corona-Kausalität“ auf den Antragspflichtigen rückt das Verhalten des Geschäftsführers/Geschäftsleiters noch mehr in den Fokus. In strafrechtlicher Hinsicht ist dabei zu bedenken, dass eine Exkulpation durch Prüfungshandlungen anderer Unternehmensangehöriger oder Dritter deutlich erschwert werden wird. Es bleibt abzuwarten, ob insoweit weitere Strafbarkeitsrisiken drohen. Zu denken ist etwa an den Vorwurf der falschen Versicherung an Eides statt nach § 156 StGB oder der Gläubigerbenachteiligung sowie die weiteren Insolvenzdelikte nach §§ 283 ff. StGB, sollte ein unzutreffender Vortrag zum Beweis der Tatsache, dass der Insolvenzfall Folge der Corona-Pandemie ist, im laufenden Insolvenzverfahren erfolgen.

Aber auch die Lockerung von Zahlungsverboten und der weitgehende Ausschluss der Insolvenzanfechtung nach Artikel 1 § 2 COVInsAG bergen Strafbarkeitsrisiken in sich, gleichwohl diese dem ersten Ansinnen nach gerade der Vermeidung einer Strafbarkeit der Insolvenzdelikte nach §§ 283 ff. StGB dienen sollen.

So sind gemäß Art. 1 § 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG nunmehr Rechtshandlungen, die dem Vertragspartner eine Sicherung oder Befriedigung, die dieser zu Recht beanspruchen konnte, gewährt oder ermöglicht haben, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar, es sei denn, dem anderen Teil war bekannt, dass die Sanierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind.

Ergänzend gilt gemäß Art. 1 § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG die bis zum 30.9. 2023 erfolgte Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite nicht als Gläubigerbenachteiligung. Dies gilt auch für die Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen. Darüber hinaus sind gemäß Art. 1 § 2 Abs. 1 Nr. 3 COVInsAG Kreditgewährung und Absicherungen im Aussetzungszeitraum nicht als sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung anzusehen.

Wahrheitswidrige Angaben oder unlautere Absprachen im Zusammenhang mit Sanierungs- und/oder Kreditbemühungen eröffnen also auch trotz oder sogar wegen der Corona-Pandemie insbesondere die Bandbreite des gesamten Insolvenzstrafrechts.

2. Änderung im Strafprozessrecht

Auch das Strafverfahrensrecht erfährt mit der Änderung des § 10 EGStPO durch Artikel 3 § 10 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie eine (vorübergehende) Modifizierung.

Nunmehr sind die in § 229 Abs. 1 und 2 StPO genannten Unterbrechungsfristen gehemmt, solange die Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus nicht durchgeführt werden kann, längstens jedoch für zwei Monate; diese Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Der Hemmungstatbestand gilt entsprechend für die in § 268 Absatz 3 Satz 2 StPO genannte Frist zur Urteilsverkündung.

Hierdurch soll verhindert werden, dass eine erhebliche Anzahl von Strafprozessen scheitert, weil strafprozessualen Anforderungen an eine begonnene Hauptverhandlung während der andauernden Covid-19-Pandemie und aufgrund dieser staatlicherseits erlassener Gesetze- und Ordnungsverfügungen nicht erfüllt werden können.

Eine damit verbundene Einschränkung der Rechte der von Strafverfahren Betroffenen fällt auf den ersten Blick nicht besonders ins Gewicht. Was für die Aufrechterhaltung des Justizapparates und der zur Beschränkung von Verteidigungsrechten vielfach herangezogene Grundsatz der Effektivität der Strafrechtspflege als schnelles und einfaches Mittel erscheint, bedeutet für den Beschuldigten indes nicht nur eine weitere Belastung durch und Konfrontation mit einem – möglicherweise schon Jahre andauernden – Strafverfahren. Sein Recht auf effektive Verteidigung, welches Ausprägung des verfassungs- und europarechtlich garantierten Anspruches auf ein faires Verfahren ist, kann durch die Erweiterung der Hemmungsfrist ebenfalls eingeschränkt werden.

Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie dient also nicht nur der Erreichung des erstrebten Ziels, die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und gesetzlichen Folgen der Covid-19-Pandemie abzumildern. Ein damit – möglichweise leichtfertig – verbundenes Verständnis, das Corona-Virus könne nun auch Verfehlungen in Gestalt wirtschaftlich sorglosen Handelns vor Eintritt der Folgen der Pandemie rechtfertigen, führt allzu leicht in ein Strafbarkeitsrisiko hinein. Aus der Sphäre der Strafjustiz ist bereits zu hören, dass neben den zahlreichen Anträgen auf Soforthilfen auch die Insolvenzverfahren strafrechtlicher Überprüfung standhalten werden müssen, sobald allgemein und im Geschäftsablauf der Justizbehörden wieder eine gewisse Normalität eingekehrt sein wird.