Fiskalinteresse vor Rechtssicherheit

Aktuelles

05.03.2021

-Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat Vorlagefrage zur Vermögensabschöpfung bei vor dem 01.07.2017 verjährten Erwerbstaten entschieden –

Ein Paukenschlag!

Wie das BVerfG (Beschluss v. 10.02.2021 (2 BvL 8/19)) in seiner heutigen Pressmitteilung bekannt gab, hält es die strafrechtliche Vermögensabschöpfung bei bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts zur Vermögenseinziehung (v. 01.07.2017) verjährten Erwerbstaten mit dem Grundgesetz vereinbar.

Die Entscheidung geht auf eine Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs vom 07.03.2019 (3 StR 192/18) zurück, mit dem der 3. Senat das BVerfG zur Vereinbarkeit der Übergangsvorschrift nach § 316h S. 1 EGStGB mit dem Grundgesetz angerufen hatte.

Zur Erinnerung:

  • Vor Inkrafttreten des Reformgesetzes zur Vermögenseinziehung war die Abschöpfung von Taterträgen bei bereits eingetretener Strafverfolgungsverjährung der zugrundeliegenden Straftat grundsätzlich ausgeschlossen;
  • Mit den zum 01.07.2017 eingeführten § 76a Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 78 abs. 1 S. 2 StGB wurden Einziehung und Verfolgungsverjährung entkoppelt, so dass im Wege der selbstständigen Einziehung Taterträge nunmehr nach dem Willen des Gesetzgebers auch rückwirkend bei bereits verfolgungsverjährten Straftaten eingezogen werden können; (Die Übergangsvorschrift nach § 316h S. 1 EGStGB regelte insoweit, dass die selbstständige Einziehung auch bei Taten möglich ist, die vor dem 01.07.2017 bereits begangen worden waren oder sogar verfolgungsverjährt sind);
  • Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte gegen eine solch weitereichende Rückwirkung mit enormen Auswirkungen auf Vermögenswerte Bedenken angemeldet und das BVerfG angerufen. Nach Auffassung des 3. Strafsenats verstoße Art. 316h S. 1 EGStGB gegen das allgemeine rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot.

Diesen rechtsstaatlichen Bedenken erteilt das BVerfG nunmehr eine Absage und erklärt – ganz im Sinne des Gesetzgebers – die Rückwirkung der Übergangsvorschrift für zulässig.

Wesentliche Erwägungen des BVerfG:

Das BVerfG erkennt zwar zunächst, dass die Übergangsvorschrift des § 316h S. 1 EGStGB eine „echte“ Rückwirkung darstellt, diese ist aber – nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts –

„ausnahmsweise wegen überragender Belange des Allgemeinwohls zulässig und mit dem Grundgesetz vereinbar“ (Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts v. 05.03.2021).

Denn die Einziehung von Taterträgen – so der Senat – stelle keine „Strafe“ i.S. d. Art. 103 Abs 2 GG dar und habe allenfalls kondiktionsähnlichen Charakter, so dass auch die echte Rückwirkung nicht mit einem erneuten Strafcharakter belegt sei.

Auch sei § 316h S. 1 EGStPO mit den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar, da der Gesetzgeber mit der Übergangsvorschrift das legitime Ziel verfolge, auch bei verjährten Erwerbstaten zugunsten des Geschädigten den staatlichen Vermögenszugriff zu gewährleisten.

So werde im Falle „fehlender“ Strafverfolgung

sowohl dem Straftäter als auch der Rechtsgemeinschaft vor Augen geführt werden, dass eine strafrechtswidrige Vermögensmehrung von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird“ (Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts v. 05.03.2021).

Fazit:

Ein Riß im rechtsstaatlichen Gefüge. Kaum anders kann man es sehen, wenn das Rückwirkungsverbot von Gesetzen bei möglicherweise empfindlichen Maßnahmen nicht mehr gelten soll. Noch Jahre zuvor hatte das BVerfG betont, dass die Vermögenseinziehung ebenso einschneidend wirken kann wie eine Freiheitsentziehung. Davon liest man in der Pressemitteilung nichts.

Eher unberührt wird ausgeführt, dass sich weder der durch die Straftat selbst bereichernde Täter noch der Dritte seines Tatertrages mit Zeitablauf sicher sein soll.

Das ist die Quintessenz, die eine beachtliche Aufweichung rechtsstaatlicher Prinzipien zugunsten staatlicher Fiskalinteressen zur Folge hat.