Daten ohne (rechtliche) Grenzen?

Aktuelles

28.03.2022

Anmerkung zum Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 24.08.2021 – 4 Qs 59/21

Das Landgericht Koblenz hat zur Frage der grenzüberschreitenden Reichweite des § 110 StPO eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. Darin kommt das Gericht zum Ergebnis, dass der Zugriff von im Ausland auf einem Server befindlichen Daten durch deutsche Behörden zulässig ist ohne (!) dass hierfür das Rechthilfeverfahren bemüht werden muss. § 110 StPO bilde insoweit auch für den grenzüberschreitenden Zugriff eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage.

Welche Fallkonstellation lag der Entscheidung des Landgerichts Koblenz zugrunde?

Das Finanzamt Koblenz – Steuerfahndungs- und Strafsachenstelle – führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung.

Im Rahmen der vom Amtsgericht Koblenz angeordneten und sodann von Ermittlungsbeamten durchgeführten Durchsuchung wurde das Mobiltelefon des Beschuldigten mit einem technischen Standard-Sicherungsmittel, dem sogenannten UFED Physical Anlayzer gesichert.  Dabei werden etwa auch die auf dem Gerät gespeicherten Zugangsdaten zu Online- und Clouddiensten ausgelesen und in einem sog. Account-Package dem IT-Prüfer zur Verfügung gestellt. Beim Einlesen der gesicherten Daten erfolgt systemseitig der Versuch im Rahmen der Internetverbindung weitere, online gespeicherte Daten abzurufen. Der Durchsuchung zeitlich unmittelbar nachgelagert bemerkte der Beschuldigte, dass von einer fremden IP-Adresse auf vom ihm erstellte Benutzerkonten auf Social Media-Plattformen zugegriffen worden war.

Der Beschuldigte hat mit Blick auf die Durchsuchung seiner Benutzerkonten mit Hilfe des UFED Analyzers den Beschwerdeweg beschritten.

Das Landgericht Koblenz hält den, der physischen Durchsuchung zeitlich nachgelagerten Zugriff auf die Benutzerkonten des Beschuldigten für eine zulässige Ermittlungsmaßnahme im Sinne des § 110 Abs. 3 StPO. Dabei geht das Gericht davon aus, dass § 110 Abs. 3 S. 1 StPO auch „den offenen Zugriff auf räumlich getrennte Speichermedien“ (LG Koblenz  Beschl. v. 24.8.2021 – 4 Qs 59/21, BeckRS 2021, 24917 Rn. 14) erlaube. Hierfür reiche es aus, dass die auf den sozialen Medienplattformen im jeweiligen Benutzeraccount gespeicherten Daten über das physisch gesicherte und durchsuchte Mobiltelefon zugänglich seien. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Benutzeraccounts grundsätzlich gegen den unberechtigten Zugriff Dritter passwort-gesichert seien.

Der Abruf der Daten aus den Benutzerkonten des Beschuldigten stellt ausweislich der Entscheidung des Landgerichts Koblenz eine Online-Sichtung dar und gerade nicht um eine „verdeckte Infiltration eines informatorischen Systems des Beschuldigten“ (LG Koblenz  Beschl. v. 24.8.2021 – 4 Qs 59/21, BeckRS 2021, 24917 Rn. 15). Vielmehr habe der Beschuldigte aufgrund der physischen Durchsuchungsmaßnahme seiner Wohn- und Geschäftsräume und der dabei erfolgten Übergabe des Mobiltelefons und seiner Smartwatch nachgerade damit rechnen müssen, dass über diese Geräte auf weitere Speicherorte zugegriffen werde. Der Umstand, dass der Zugriff auf die Benutzerkonten zeitlich nachgelagert zu der physischen Durchsuchungsmaßnahme erfolgte, stellt für das Landgericht Koblenz ebenfalls kein Hindernis dar, da der Zugriff auf die Daten „innerhalb der im Nachgang zu einer Durchsuchung üblichen Sichtungszeiten“ liege (LG Koblenz  Beschl. v. 24.8.2021 – 4 Qs 59/21, BeckRS 2021, 24917 Rn. 15).

Die Sicherstellung des externen Speichermediums sei auch deswegen erforderlich gewesen, da durch kurzfristige Löschung der Benutzerkonten ein unmittelbarer Beweisverlust gedroht habe; der Beschuldigte sei durch das Erscheinen der Ermittlungsbeamten zum Zwecke des Vollzugs der Durchsuchungsanordnung der Wohn- und Geschäftsräume schließlich „vorgewarnt“ gewesen.

Die Voraussetzungen des § 110 Abs. 3 StPO sieht das Landgericht Koblenz mithin als unproblematisch gegeben an; die der Entscheidung zugrundlegende Fallkonstellation bietet bezüglich der vorbenannten Voraussetzungen indes auch keine Ungewöhnlichkeiten.

Weitaus beachtenswerter und mit bedenklicher Selbstverständlichkeit argumentiert das Landgericht Koblenz, dass der Zugriff auf „die (wohl) im Ausland gespeicherten Daten […] auch ohne Rechtshilfeersuchen zulässig [war]“ (LG Koblenz  Beschl. v. 24.8.2021 – 4 Qs 59/21, BeckRS 2021, 24917 Rn. 16).

Das Landgericht Koblenz geht davon aus, dass der Wortlaut des § 110 StPO eine Zugriffsbeschränkung auf inländische Daten nicht hergebe und greift zur weiteren Begründung auf den Entstehungszeitpunkt der Norm zurück. Nach Auffassung des Landgerichts habe der Gesetzgeber bei der Fassung des § 110 StPO die Entwicklung der technischen Möglichkeiten, also insbesondere die dezentrale Speicherung von Daten in Cloudsystemen, nicht absehen können. „Im Gegenteil, in der Begründung zum Gesetzesentwurf (im Jahr 2007) war noch von „dem Zugriff auf vom Zugangsgerät (z.B. Personal Computer) räumlich getrennte Teile eines Computersystems (z.B. Netzwerkrechner im Intra- oder Internet“ (BT-Drucks. 16/5846, S. 27) die Rede“, so das Landgericht Koblenz in seinen weiteren Ausführungen (LG Koblenz Beschl. v. 24.8.2021 – 4 Qs 59/21, BeckRS 2021, 24917 Rn. 17).

Das wohl gewichtigste Argument gegen eine Ermächtigung des direkten Zugriffs auch auf ausländische Staaten, nämlich die damit einhergehende Verletzung des territorialen Hoheitsgebiets des ausländischen Staats, kontert das Landgericht Koblenz damit, dass das Erfordernis eines Rechtshilfeersuchens bereits deshalb entbehrlich sei, da entweder der Belegenheitsort der Daten nicht feststellbar sei oder jederzeit vom Beschuldigten oder einem Dritten durch eine Neuordnung des Speicherplatzes geändert werden könne. Ein Zugriff der Ermittlungsbehörden auf im Ausland belegene virtuelle Daten würde damit in beiden Fällen faktisch unmöglich.

Zudem sähe das Geschäftsmodell von Dienstleistern im Bereich der virtuellen Speicherorte vor, dass diese über die eigenen Serverkapazitäten hinaus in erheblichem Umfang Serverleistungen bei Drittanbietern einkaufen müssten, was die sichere und dauerhafte Feststellung des Speicherorts von Daten zudem erheblich erschwere.

Ein völkerrechtswidriger Eingriff in die Hoheitsrechte von Drittstaaten sei durch den Abruf der Daten im Rahmen der Sicherstellung und Sichtung ebenfalls nicht gegeben. Diese Auffassung begründet das Landgericht Koblenz zum einem mit einem Diskussionspapier des Europarats aus dem Jahr 2010 (Project on Cybercrime, Discussion Paper, Cloud Computing and cybercrime investigations: Territoriality vs. the power of disposal, Version 31. August 2010, abrufbar https://rm.coe.int/16802fa3df), in dem als Anknüpfungspunkt für hoheitliches Tätigwerden die Verfügungsberechtigung über Daten und nicht (mehr) der Speicherort der Daten gelte. Zum anderen verweist das Landgericht Koblenz auf bereits in diesem Zusammenhang ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung, etwa des belgischen Kassationshofs aus dem Jahr 2015, die eine territoriale Ermächtigung der Ermittlungsbehörden zum grenzüberschreitenden Zugriff auf Daten in dem Fall herleiten, in dem der Datenberechtigte am Wirtschaftsleben des die Ermittlungen führenden Staates teilnehme.

Der landgerichtlichen Entscheidung ist zu widersprechen. Sie stellt einen auf Erfolg abzielenden Durchsuchungspragmatismus über geltende Rechtsgrundsätze und ignoriert die bisherige nationale Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit von Zugriffen auf ausländische Daten insgesamt.

Folgt man der Auffassung des Landgerichts Koblenz so dürfte es zukünftig ausreichen das Datenmittlungsgerät (also etwa Mobiltelefon, Tablet, Smartwatch) sicherzustellen, um im Rahmen der Sichtungsermächtigung nach § 110 StPO auch auf im Ausland belegene Daten zugreifen und diese verwerten zu können. Damit wird die völkerrechtlich statuierte Einhaltung des Rechtshilfeverkehrs bei grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeiten ad absurdum geführt.

Dennoch muss gewarnt werden. Die Entscheidung wird zukünftig bei jeder Ermittlungshandlung im Einsatzbesteck anzutreffen sein. Sollte die jedenfalls nunmehr untergerichtlich als rechtmäßig statuierte Vorgehensweise der Ermittlungsbehörden Schule machen, bleibt der Verteidigung nur der Versuch durch die konsequente Beschreitung des (nationalen) Beschwerdewegs grenzüberschreitenden Zugriffsmöglichkeit der Strafverfolgungsbehörden entgegenzuwirken.