Suspendiert Covid-19 die (Steuer-)Strafrechtspflege?

Aktuelles

06.05.2020

Geltende Dienstanweisungen oder trügerische Sicherheit?

Am 03.05.2020 berichtet die Süddeutsche Zeitung von angeblichen Dienstanweisungen von Finanzbehörden, wonach angeblich Ermittlungshandlungen in Form von Durchsuchungen trotz vorliegender Verdachtsmomente in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zur Beweismittelgewinnung und Beweismittelsicherung „grundsätzlich“ nicht durchgeführt werden sollen. Laut Süddeutscher Zeitung sollen die Regelungen in den Bundesländern jeweils unterschiedlich sein. Begründet werden solche Dienstanweisungen angeblich mit der aktuellen „Corona-Krise“.

Eine solche pauschale Vorgabe betrifft und beeinträchtigt elementare strafprozessuale Grundsätze. Es stellen sich auch verfassungsrechtliche Fragen, etwa ob ein föderaler Behördenteil als Teil der Exekutive die Kompetenz hat, geltendes Bundesrecht in Form der Strafprozessordnung zumindest partiell außer Kraft zu setzen. Nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen dürfte dies dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehalten sein. Dieser hat von seinem Recht zur Regelung des Strafrechts und des gerichtlichen Verfahrens im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Art. 72 Abs. 1 GG durch die Kraftsetzung der Strafprozessordnung und des Strafgesetzbuches umfänglich Gebrauch gemacht.

Insbesondere hat der Gesetzgeber in § 152 Abs. 2 StPO den sog. Legalitätsgrundsatz verankert. Demnach müssen die Strafverfolgungsbehörden im Falle eines Anfangsverdachts Ermittlungen durchführen. Tun sie das nicht in der gebotenen Effektivität, droht den Verantwortlichen selbst die Einleitung eines gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahrens wegen des Vorwurfs der Strafvereitelung im Amt nach § 258a StGB.

Ein echtes Dilemma kann dies für die mit der Sachbearbeitung betrauten Beamten mit sich bringen. Befolgen sie die verwaltungsinterne Dienstanweisung oder richten sie ihr Handeln an den Normen der StPO und der Strafdrohung in § 258a StGB aus? Wie soll der Beamte diesen Pflichtenkonflikt ohne eigenes Risiko auflösen? Muss er gegen etwaige Anweisungen remonstrieren oder wenigstens seinem unmittelbaren Dienstvorgesetzten eine auf der allgemeinen Dienstanweisung beruhende beabsichtigte Abweichung vom üblichen Ermittlungsfortgang zur finalen Entscheidung vorlegen? Und kann er sich auf die erhaltene Auskunft bzw. Entscheidung des unmittelbaren Dienstvorgesetzten verlassen oder muss er sich ggf. weitergehend widersetzen, um sich später nicht den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, sich sehenden Auges an der Missachtung klarer bundesgesetzlicher Vorgaben beteiligt zu haben.

Gegebenenfalls werden die betroffenen Beamten auch damit zu kämpfen haben, dass bereits erlassene richterliche Durchsuchungsbeschlüsse nicht vollzogen werden dürfen. Solche Beschlüsse, denen oft langwierige Ermittlungen vorausgehen, sind nicht unbegrenzt „haltbar“. Spätestens ein halbes Jahr nach ihrem Erlass können sie nicht mehr vollzogen werden. Dann sei davon auszugehen, „dass die dem Durchsuchungsbeschluss zugrundeliegende richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Grundrechtsschutzes zu sichern vermag“. Daher besteht die Gefahr, dass Steuerfahnder und Staatsanwälte in einer Vielzahl von Fällen erneut auf den Erlass eines weiteren Durchsuchungsbeschlusses auf Grundlage der dann vorliegenden Verdachtslage hinzuarbeiten haben.

Nun dürfte es im Bereich des Steuerstrafrechts eher wenig formellen Widerspruch gegen die Aussetzung von Ermittlungshandlungen geben, da hier keine unmittelbaren privaten Rechtspositionen beeinträchtigt werden. Sollte das Beispiel der Dienstanweisung aber „Schule machen“ und sich in anderen strafrechtlichen Bereichen wiederfinden, dürfte erheblicher Widerstand seitens etwaiger Geschädigter bzw. Anzeigeerstatter zu erwarten sein. Letztere haben gegebenenfalls durch die Erstattung einer Strafanzeige die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens veranlasst und erhoffen sich, mittels von den Ermittlungsbehörden zusammengetragenen Ermittlungsergebnissen ihre zivilrechtlichen Ansprüche erst darlegen und beweisen zu können.

Hoffentlich erinnern sich später die Staatsanwaltschaften an die angeblichen Dienstanweisungen und an die „Corona-Zeit“, wenn sich herausstellt, dass einzelne Beamte Durchsuchungsmaßnahmen nicht gefördert haben in Verfahren, in denen sie fundamental wichtig gewesen wären, um die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege aufrechtzuerhalten.