Irrtum über Arbeitgebereigenschaft als tauglicher Tatbestandsirrtum

Aktuelles

14.11.2019

BGH, Beschluss vom 24.09.2019 – 1 StR 346/18 zu den Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands bei § 266a StGB

Mit Beschluss vom 24.09.2019 hält der 1. Strafsenat des BGH an seiner bisherigen Rechtsprechung zur rechtlichen Einordnung eines Irrtums über die Arbeitgeberstellung nicht mehr fest (bisher als Verbotsirrtum eingeordnet, vgl. nur BGH, Beschluss v. 07.10.2009 – 1 StR 478/09; v. 04.10.2013 – 1 StR 94/13). Nunmehr ordnet der BGH ein Irren über die Arbeitgeberstellung und sich einer daraus ergebenden Beitragsabführungspflicht als Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 StGB ein.

Für die Arbeitgebereigenschaft im Sinne des § 266a StGB kommt es für die Frage vorsätzlichen Handelns entscheidend darauf an, ob der Arbeitgeber erkannt und billigend in Kauf genommen hat, dass aufgrund der Umstände des Einzelfalls möglicherweise von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen ist und daraus gegebenenfalls für ihn eine Abführungspflicht folgt. Dabei muss der Täter zumindest in einer laienhaften Bewertung erkannt haben, dass er selbst möglicherweise Arbeitgeber ist, dass eine Abführungspflicht existieren und er durch die fehlende Anmeldung oder unvollständige oder unrichtige Angabe die Heranziehung zum Abführen von Sozialabgaben ganz oder teilweise vermeiden könnte (vgl. BGH, Urteil v. 17.02.1998 – 5 StR 624/97, Rn. 7).

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH musste sich der Vorsatz hinsichtlich der Eigenschaft als Arbeitgeber und einer sich hieraus ergebenen Abführungspflicht nur auf die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Umstände beziehen; es bedurfte also keiner zutreffenden rechtlichen Einordnung, wer Arbeitgeber und wer Arbeitnehmer ist. Lag die Kenntnis über die tatsächlichen Verhältnisse vor, unterlag der Täter, wenn er glaubte, nicht Arbeitgeber oder für die Abführung der Sozialabgaben verantwortlich zu sein, einem  „– in der Regel vermeidbaren – Verbotsirrtum“ (BGH a.a.O. Rn. 19 m.w.N.).

Mit seiner Entscheidung hält der 1. Strafsenat an dieser rechtlichen Einordnung nicht mehr fest und passt seine Rechtsprechungspraxis zu § 266a StGB der zur Vorsatz und Irrtumsproblematik bei der Steuerhinterziehung nach § 370 AO an. Danach gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will (vgl. BGH a.a.O. Rn 21). Hat der Steuerpflichtige irrtümlich angenommen, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt nach stetiger Rechtsprechung ein Tatbestandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt. Für eine Ungleichbehandlung der Irrtums- und Vorsatzdogmatik bei der Arbeitgeberstellung im Sinne des § 266a StGB und der Abgabenpflicht nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sieht der BGH keinen Raum, da es sich in beiden Fällen um normative Tatbestandsmerkmale handelt, „hinsichtlich derer die bloße Kenntnis der ihnen zugrundliegenden Tatsachen nicht genügt, um ein vorsätzliches Verhalten zu begründen“ (BGH a.a.O. Rn. 22). Die Entscheidung des 1. Strafsenats ist konsequent und beseitigt die bereits lange kritisierte ungleiche Rechtsprechungspraxis zu § 266a StGB und § 370 AO. Für die Verteidigungspraxis ist die Entscheidung von großer Bedeutung. Denn nunmehr muss der Täter über die bloße Kenntnis der zugrundliegenden Tatsachen die für die Unrechtsbegründung wesentliche Bedeutung der maßgeblichen Tatumstände zutreffend erfasst und die rechtliche Wertung nachvollzogen haben. Hat er dies nicht, hat er ohne weitere Voraussetzung vorsatzlos gehandelt, da ihn „der spezifische strafrechtliche Normappell“ (BGH a.a.O. Rn. 22) nicht erreicht. Es bedarf also gerade nicht mehr der langwierigen und oftmals erfolglosen Diskussion, ob der Irrtum über die Arbeitgebereigenschaft nun im Einzelfall vermeid- oder unvermeidbar war.